Die Glitzerkugel soll sich immer weiterdrehen
Paul Weller lässt sein Album „On Sunset“dunkel beginnen – und dreht dann trotzdem ein kräftiges Licht auf.
Dass in den vergangenen Monaten das Glitzern der Discokugeln mitsamt all seinen Versprechungen der Lebensleichtigkeit von den Tanzflächen verschwunden ist, treibt nicht nur Clubbesitzer in existenzielle Nöte. Mit einer bangen Frage lässt auch Paul Weller sein aktuelles Album „On Sunset“beginnen. „Mirror ball, when will you spin?“, singt er mit Nostalgie in der Stimme, umweht von einem fernen 70er-Jahre-Soulchor und einem schluchzenden Synthesizer: „Light up the room and our lives begin.“Rasch zu drehen beginnt sich daraufhin aber zunächst die Atmosphäre des Songs: Wellers Wunsch wird zum musikalisch energischen Befehl. Erst führen ein flockiger Beat, ein warmer Bass und eine verzerrte E-Gitarre zurück in Soundgefilde,
die Fans des britischen PopEklektikers vertraut sind. Dann plötzlich machen sie Platz für Klänge aus der Experimentalabteilung, die sich ebenfalls einmal auf der Tanzfläche breitmachen wollen. Auf dem 26. Album seiner Laufbahn lässt der 62-Jährige viel Experimentierlust durchklingen.
Die Länge seiner Diskografie im Verhältnis zu seinem Alter erklärt sich aus einem sehr frühen Start im Musikgeschäft: 17 war Paul Weller, als er mit seiner Band The Jam den rohen Sound des Punkrock mit dem Stilbewusstsein der Mod-Bewegung kombinierte. Den Beinamen „Modfather“und einen dauerhaften Ruf als Britpop-Influencer trug ihm sein Schaffen ein. Aber auch einen Sinn für abrupte Stilwechsel behielt er sich früh vor: mit der Nachfolgeband The Style Council, die Wellers Songs in kühle Jazz-Pop-Geschmeidigkeit
gewandete, und ab den 1990er-Jahren in Soloalben wie „Wild Wood“, in denen der Modefanatiker immer schon gern Kontraste kombiniert hat: das Sanfte und das Ruppige, das Kühle und das
Warme, die Soul-Eleganz mit bodenständigem Rock und transparentem Folk.
Dass sich all das auch auf neuen Songs wie „Baptiste“oder „Old Father Tyme“wiederentdecken lässt, bedeutet keinen Rückschritt. In der Mode würde man „zeitlos“dazu sagen. Daneben aber hat Weller, wie er im Interview mit dem britischen „New Music Express“erzählt, auch die ästhetischen Reize der Avantgarde für sich entdeckt. Von der Musik Karlheinz Stockhausens oder Pierre Schaeffers lasse er sich in Sachen Klangexperimente gern beeinflussen. Zu hören war das bereits zu Jahresbeginn, als Weller die EP „In Another Room“veröffentlichte. Sie vereinte vier Instrumentalstücke, in denen er mit Tonbandexperimenten und Feldaufnahmen spielte. Aber auch auf seine Poparbeit hat diese Beschäftigung
abgefärbt. Wenn Weller etwa im Text zum Song „Village“die Vorzüge des einfachen Lebens weit weg von einer Welt des Konsumzwangs besingt („Not a thing I’d change if I could, I’m happy here in my neighbourhood“), ist neben Streichern und Akustikgitarre auch Platz für elegant gesetzte Sound-Brüche. Der Song „More“wiederum, der sich zunächst gut in jede klassische WellerKollektion einreiht, wächst sich zum ausgedehnten InstrumentalJam aus. Manche akustischen Referenzen lassen auch an David Bowie denken. Ihm hatte Weller auf dem Album „True Meanings“(2018) einen eigenen Song gewidmet. Das Spiel mit vielen Stilen bleibt auch auf „On Sunset“Wellers Sache. Das neue Glitzern steht ihnen gut.
Paul Weller: