7170 Hirten auf dem Papier statt auf der Alm
Experten beklagen seit Jahren einen Mangel an Hirten auf heimischen Almen. Warum das Landwirtschaftsministerium dennoch Tausende zählt.
WIEN. In Österreich gibt es auf 4769 Almen insgesamt 7170 Hirten. Diese Zahlen gab das Landwirtschaftsministerium in der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage bekannt. Fachleute beklagen hingegen seit Jahren das Fehlen von Hirten auf heimischen Almen – etwa wenn es darum geht, die Viehherden vor dem Wolf zu schützen.
„Was wir tatsächlich haben, ist ein Mangel an ausgebildeten Hirten. Ich wüsste gar nicht, wo die 7170 alle sein sollten. Das muss eine statistische Größe sein“, sagt Wildbiologe Klaus Hackländer von der Universität für Bodenkultur.
Noch 2017 hieß es im Herdenschutz-Abschlussbericht des Bundesverbands für Schafe und Ziegen: „Es gibt in Österreich kaum gut ausgebildete und erfahrene Hirten und
Schäfer.“Der Hauptgrund: Den Beruf des Hirten gibt es hierzulande nicht. Wer ihn erlernen will, muss in die Schweiz ausweichen.
Eine Erklärung für die 7170 Hirten liefert das zu 50 Prozent von der EU geförderte Agrar-Umweltprogramm ÖPUL. Dieses stellt seit 2015 jährlich rund 12,5 Millionen Euro an Förderungen für die Behirtung der Almen bereit. Die Kriterien sind streng. Sie reichen von täglicher Anwesenheit, ständiger Versorgung, Umtrieb der Herde bis hin zur Behandlung von Verletzungen und Krankheiten der Tiere.
Förderwürdig ist, wer auf einem Sammelantrag der Agrarmarkt Austria (AMA) bei „Alpung und Behirtung“ein Kreuz macht und eine vierstündige Ausbildung zum Hirten absolviert, die aus Onlinekursen besteht. Darin könne man, wie es heißt, „die wichtigsten Grundlagen für eine professionelle Almbewirtschaftung orts- und zeitunabhängig von zu Hause erlernen“. Teilnahmegebühr: 25 Euro. Laut
AMA sind es in der Regel die Bauern, die den Förderantrag stellen.
Thomas Schranz ist Wanderschäfer. Seit seiner Kindheit verbringt der 49-Jährige die Sommer auf den Almen Tirols. Er hat sich den Onlinekurs angesehen (die ersten 20 Minuten sind gratis). Sein Fazit: „Wie soll man denn am Bildschirm lernen, wie man eine Klaue ausschneidet, eine Spritze setzt oder was man tun muss, wenn ein Tier Wurmbefall hat?“Als Ausbildung empfiehlt Schranz „einen Sommer als Beihirte mit einem erfahrenen Hirten auf der Alm“.
Das Zertifikat, das man sich nach dem Online-Kurs ausdrucken kann, ist bei einer Kontrolle durch die AMA vorzuweisen, betont Sprecher Harald Waitschacher. Seine Kollegen überprüfen jährlich „mindestens fünf Prozent“der antragstellenden Betriebe. Die Kontrollen der Almen werden vorangekündigt: „Man macht sich aus, wo der Treffpunkt ist. Wir fahren nicht einfach ins Blaue“, erklärt Waitschacher.
Markus Fischer von der Landwirtschaftskammer ist die Zahl von 7170 Hirten zu gering. „Wir haben 8000 Almen. Da ist noch viel Potenzial.“Fischer spricht sich dafür aus, „zumindest den Facharbeiter für Almwirtschaft“einzuführen. Dies sei aber vorerst nicht in Sicht. Über die Förderrichtlinien sagt er: „Da kann ich viel reinschreiben. Die Frage ist, ob es auch kontrollierbar ist.“
Karin Doppelbauer, Neos-Sprecherin für den ländlichen Raum, hat die parlamentarische Anfrage gestellt. Sie sagt, es werde „wieder einmal an der Realität vorbeigepfuscht“. Über „die wundersame Vermehrung auf über 7100 Hirten“könne man nur staunen. Den vierstündigen Kurs bezeichnete Doppelbauer als „Alibi-Schmäh, der praktische Erfahrungen nicht ersetzen kann“. Sie vermisst eine Gesamtstrategie für die professionelle Bewirtschaftung von Almen.
„Die Erfahrung zeigt, dass bei Almtieren in Österreich nur in unregelmäßigen Abständen Nachschau gehalten wird“, kritisiert Lucas Ende vom Naturschutzbund. Die Förderkriterien sollten „mindestens eingehalten werden. Sie gehen ohnehin nicht weit genug.“Die Umsetzung habe „mit Behirtung nichts zu tun“.