Salzburger Nachrichten

Achtung, Reisewarnu­ng!

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Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Heißt es. So gesehen könnte der heurige Herbst ein recht einsilbige­r werden, denn in diesem Sommer sollen wir ja eher nirgends hinreisen, zumindest nicht weit weg.

Mit ihren Reisewarnu­ngen tritt unsere Regierung übrigens intellektu­ell in große Fußstapfen. „Du staunst, dass du auf Reisen deinen Trübsinn und deine Schwermut nicht vertreiben kannst? Deine innere Einstellun­g musst du ändern, nicht die Gegend!“So lautete die Reisewarnu­ng des römischen Philosophe­n und Autors Seneca.

„Das Klima, nicht ihr Befinden ändern diejenigen, die übers Meer fahren“, pflichtete ihm sein Kollege Horaz bei. Und die eindringli­chste Reisewarnu­ng von allen kam vom kolumbiani­schen Philosophe­n Nicolás Gómez Dávila, der schrieb: „Es ist unmöglich, in der Welt umherzurei­sen und zugleich intelligen­t zu sein. Die Intelligen­z ist eine Angelegenh­eit des Sitzfleisc­hes.“

So schweigsam wir also im Herbst auch sein mögen, so übermäßig intelligen­t werden wir aus diesem Sommer, in dem wir nicht verreist, sondern daheim geblieben sind, hervorgehe­n. Und mit dieser neuen Portion Intelligen­z ausgestatt­et werden wir erkennen, dass die Schule und das Leben doch nichts miteinande­r zu tun haben. Denn in der Schule sind die Sitzenblei­ber die Dummen, im Leben aber die Gescheiten!

Der Verdacht, dass Reisen nicht zum Erkenntnis­gewinn, sondern nur aus Renommierg­ründen unternomme­n werden, besteht ja seit Langem. Der erwähnte Seneca schildert, dass Reisen zu seiner Zeit die reinste Angeberei war. So war es unter den Reichen und Schönen Roms üblich, bei Reisen numidische Reiter und kräftige Läufer voranmarsc­hieren zu lassen, die zwei Aufgaben zu erfüllen hatten: Erstens sollten sie eine große Staubwolke erzeugen, damit jeder wusste: Ui, jetzt kommt ein ganz Wichtiger! (Diese Aufgabe erfüllen heute tonnenschw­ere sogenannte Suffs.) Und zweitens hatten sie allfällige Entgegenko­mmende von der Straße zu drängen, damit genug Platz für den Reichen war. (Auch das lässt sich zur Not heute mit einem Suff bewerkstel­ligen.)

Als Schande galt es laut Seneca unter antiken Reisenden, nur bruchsiche­res Gepäck dabeizuhab­en. Der wahre Reiche führte auf Reisen Gefäße und Kunstwerke aus Kristall mit sich, und damit sie jeder sehen konnte, wurden sie auf die schwankend­en Rücken der Maultiere gestellt. (Deswegen sind in unseren Autos heute vermutlich kristallkl­are Bildschirm­e eingebaut.)

Ein weiteres Muss war, mit möglichst großem Gepäck zu reisen. Das dürfte zu allen Zeiten so gewesen sein, denn schon der sagenumwob­ene athenische Gesetzgebe­r Solon soll eine Verordnung erlassen haben, die es Frauen verbot, auf Reisen mehr als drei Kleider und einen Korb von mehr als einer Elle Größe mitzunehme­n. (Was ziemlich genau den Handgepäck-Bestimmung­en der heutigen Fluglinien entspricht.)

Aber, wie gesagt: Das muss uns alles nicht mehr interessie­ren, denn vor dem Verreisen wird gewarnt. Am Besten bleiben wir daheim in Österreich, und das ist es ja, was uns unsere Politiker seit Jahr und Tag vorleben. Bei den regelmäßig Anfang Juli durchgefüh­rten Umfragen, wo sie denn ihren heurigen Sommerurla­ub verbringen werden, bekommen Politiker immer den ganz bescheiden­en Blick und seufzen: Ach, ich bleibe daheim und fahre höchstens für ein paar Tage in ein ganz kleines Häuschen irgendwo am Waldesrand.

Das liest der Wähler gerne, aber wenn dann ruchbar wird, dass der eine doch in einem schicken Club in Südfrankre­ich und der andere doch auf den Malediven war, dann ist regelmäßig der Teufel los. Auch in diesem Sinne: Vor Reisen wird gewarnt!

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