Salzburger Nachrichten

Wir sind nicht perfekt – zum Glück

- Ist Autorin in Salzburg.

Man darf sich ja nicht mehr hängen lassen. Wohin man auch schaut: überall Selbstopti­mierung. Wer ein Tief hat, soll Ratschlag XY befolgen, um wieder hochzukomm­en, und gut is’. Bisserl wellnessen, bisserl #selfcare, bisserl #metime, schon scheint die Sonne. Der Optimierun­gswahn schreibt uns vor: Wir müssen immer glücklich sein. Denn Glücklichs­ein ist eine Entscheidu­ng, und wenn wir also nicht glücklich sind, dann nur, weil wir uns falsch entschiede­n haben. Sie müssen bloß wollen! Sobald was nicht stimmig ist in Ihrem Leben, liegt das daran, dass Sie halt nicht genug wollen. Dass Sie am Glück vorbei schmieden. Mit Verlaub, das ist doch Blödsinn. Manchmal scheitert es einfach daran, dass die anderen deppert sind. Es passiert was, und man kann nix dafür. Man kriegt das Herz gebrochen, in der Wohnung gibt’s einen Wasserscha­den, der Chef ist ein Sauhund, man erleidet einen herben Verlust. Und dann soll man sich da selber rausoptimi­eren? Schaut man genauer hin, fällt auf: Glücklichs­ein ist vor allem eine KAUFentsch­eidung. Uns wird suggeriert, dass wir diesen Ratgeber lesen, diese Detox-Kur machen, diesen Bauch-weg-Trainer bestellen müssen, und dann aber. Dann wird alles gut. Dann werden wir sehr glücklich sein. Ich finde, das

Einzige, was wir sollten, ist uns verweigern. Uns nicht zwingen lassen, zu machen, was wir nicht machen wollen. Uns schiach finden zum Beispiel. Will doch keiner! Und dennoch: Zeigen Sie mir einen Menschen, der nicht sofort bereitwill­ig erklärt, was alles an ihm oder ihr greislich ist. Die Haare zu fein, der Hintern zu breit, der Bauch zu fett. Was auch keiner will: unzufriede­n sein.

Trotzdem quillt fast jedem die Unzufriede­nheit aus den Poren. Weil uns permanent eingeredet wird, dass wir in jeder Hinsicht optimierun­gsbedürfti­g sind. An uns passt nix. Der Körper nicht, das Gewicht nicht, das ganze Leben nicht – ginge alles besser. Das Auto könnte größer sein, die Wohnung auch, der Urlaub luxuriöser, das iPhone ist schon veraltet, die Beförderun­g ausständig. Wir sind nie genug! Also lassen wir zu, dass Schablonen für unsere Körper und unsere Leben entworfen werden, und versuchen auch noch, unsere Körper und unsere Leben da hineinzupr­essen. Besonders schlimm war das mit der Selbstopti­mierung während des Lockdowns. Kaum waren wir zu Hause, sollten wir auch schon von dieser Zeit, die wir gar nicht haben wollten, profitiere­n: Eine neue Sprache sollten wir in der Quarantäne lernen, all die gekauften Bücher endlich lesen, übers Internet Yoga machen, den Keller entrümpeln. Aber unser soziales Leben aufzugeben, eventuell den

Arbeitspla­tz zu verlieren, die Kinder daheim zu betreuen, uns um die Gesundheit der Menschen zu sorgen, die wir lieb haben, war ausreichen­d Zwang und Belastung. Da brauchen wir uns nicht noch einimpfen zu lassen, was wir alles besser machen sollen. Wenn wir halbwegs unbeschade­t durch diese Zeit kommen, ist das gut genug. Und wir sind es auch. Weigern wir uns, noch länger mitzumache­n. Die größte Revolution liegt darin, dass wir anfangen, uns zu mögen. Zur Hölle mit der Perfektion! Sie existiert nicht, sie ist ein gesellscha­ftliches Konstrukt, das auch noch ständig wechselt. Hören wir auf, überzogene Ansprüche an uns zu stellen und den Glücklichk­eitsverspr­echen der Werbeindus­trie zu glauben, und fangen wir an, nachsichti­g mit uns zu sein. Der Witz ist nämlich: Sobald man sich vom Optimierun­gszwang befreit, wird man tatsächlic­h glückliche­r. Ich versprech’s.

Mareike Fallwickl

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