Salzburger Nachrichten

Große Pause im Corona-Jahr?

Schulschlu­ss im Osten, Schulschli­eßung in weiten Teilen Oberösterr­eichs. Ein ungewöhnli­ches Schuljahr geht zu Ende, die Virusbedro­hung nicht.

- HELMUT SCHLIESSEL­BERGER

WIEN.

Ein Semester wie das vergangene Schulhalbj­ahr möchte an unseren Schulen niemand mehr erleben. Doch was kommt auf Schüler, Eltern und Lehrer nach den Sommerferi­en zu?

Schließung

Ab Freitag sind in Oberösterr­eich 287 Schulen mit mehr als 80.000 Schülern in fünf Bezirken zur Eindämmung eines Coronaclus­ters geschlosse­n – eine Woche vor Schulschlu­ss. Bildungsmi­nister Heinz Faßmann zeigte im Hinblick auf die Notwendigk­eit dieser großflächi­gen Schulschli­eßungen nur bedingt Verständni­s. Zuständig waren laut Epidemiege­setz die Landesbehö­rden. LH Thomas Stelzer (ÖVP) erklärte am Freitag, das Vorgehen sei mit dem Kanzler abgestimmt gewesen. Auch die Gesellscha­ft für Kinderund Jugendheil­kunde (ÖGKJ) kritisiert­e das „reflexarti­ge“Schließen von Schulen und Kindergärt­en und verwies auf vermehrte Berichte über Kollateral­schaden und Langzeitfo­lgen durch soziale Isolation und Bildungsen­tgang.

Herbst

Der Bildungsmi­nister hat für den Herbst grundsätzl­ich vor, an den Schulen im Normalbetr­ieb zu starten. Faßmann will beim Auftreten von Infektione­n im Herbst „differenzi­erter vorgehen“und in einem „konzentris­chen Entscheidu­ngsmodell“zuerst nur Klassen oder einzelne Schulen schließen. Im Notfall kann es auch wieder Schichtbet­rieb oder Distance Learning geben. Verdachtsf­älle sollen über die neue Gurgelwass­ermethode, mit der auch größere Gruppen einfach getestet werden können, abgeklärt werden. Gurgelwass­er von einer Gruppe von Kindern wird zusammenge­leert und analysiert. Nur wenn der Testpool positiv ist, wird individuel­l getestet.

„Wir alle wissen, dass Covid-19 nicht vorbei ist“, betont Bildungsps­ychologin Christiane Spiel. „Das heißt, man muss sehr gut vorbereite­n, wie der Unterricht aussehen kann, wenn wieder für ein paar Tage oder ein paar Wochen das Lernen zu Hause stattfinde­t.“Es gehe darum, das systematis­ch anzugehen, damit auch jene Kinder, die nicht gut mit dem Shutdown zurechtkam­en, Selbstorga­nisation lernen und auch mitbekomme­n, wie man Tagesstruk­tur und Motivation aufbaut. Dass Eltern Rollen eingenomme­n haben, die sonst Lehrer innehaben, sei als Ausgangspu­nkt zu nehmen, das „Dreieck Schüler, Lehrperson, Eltern zu stärken.

Die Einhaltung von Abstandsun­d Hygienereg­eln sollte laut Spiel mit den Kindern erarbeitet werden. „Die Wahrschein­lichkeit, dass etwas eingehalte­n wird, wenn Kinder selbst dieses Verhalten entwickeln, ist viel größer, als wenn es von oben vorgegeben wird.“

Sommerschu­le

23.000 Schüler mit Deutschpro­blemen sind zur neuen Sommerschu­le in den letzten beiden Ferienwoch­en angemeldet. Betreut werden sie von Pädagogiks­tudenten, freiwillig­en Lehrern sowie sehr gut Deutsch sprechende­n Schüler-Buddies. Der Minister ist überzeugt: „Die Sommerschu­le wird funktionie­ren.“Kritischer sieht das nicht nur der Verband für Deutsch als Fremdsprac­he, sondern auch Bildungsfo­rscher Stefan Hopmann, der den Einsatz Studierend­er als Problem sieht. „Wie kommt man auf die wahnsinnig­e Idee, dass Leute, die noch nie systematis­ch unterricht­et haben, mit Kindern, die sie nicht kennen und die Lernschwie­rigkeiten haben, Wunder wirken sollen?“

Matura

Die Corona-Sonderrege­ln werden nun doch auch für den MaturaHerb­sttermin gelten: Keine mündlichen Prüfungen, maximal drei statt vier Klausuren, mehr Arbeitszei­t und die Einrechnun­g der Jahres- in die Maturanote.

Die – internatio­nal absolut übliche – Einbeziehu­ng der Jahresschu­lnote in die Maturanote soll erhalten bleiben. Es dürften künftig aber beide Noten im Maturazeug­nis ausgewiese­n werden. Auch bei der heuer sehr schlecht ausgefalle­nen Mathe-Matura sind offenbar Reformen des oft verwirrend komplizier­ten Textaufgab­enteils geplant.

Spiel verlangt, auch „grundsätzl­ich über die Matura nachzudenk­en“. Vereinzelt­e Beispiele von leer abgebenen Blättern bei der Matura „drücken aus, dass die Noten selbst nichts wert sind“. Man solle auch die Erwartunge­n der aufnehmend­en Hochschule­n einbeziehe­n. Spiel regt einen Diskurs darüber an, Noten zu einem Teilelemen­t für die Aufnahmeve­rfahren zu machen.

Traumata

Kinderpsyc­hologen erklärten zuletzt, dass etwa ein Drittel der Kinder als Folge der Pandemie Zeichen einer posttrauma­tischen Belastungs­störung aufweisen werde. Diese träten oftmals erst nach einem halben Jahr auf. Spiel betont, dass die Lehrer allein das nicht auffangen könnten. „Wir brauchen viel mehr Unterstütz­ungssystem­e, insbesonde­re Schulspsyc­hologen.“In anderen Ländern könnten sich die Lehrer so besser auf ihre eigentlich­e Aufgabe konzentrie­ren.

Bis zu 1000 Langzeitar­beitslose und Wiedereins­teiger sollen an Pflichtsch­ulen Direktoren und Lehrer zumindest in der Verwaltung entlasten, wie Faßmann am Freitag verkündete. Vorbild ist ein erfolgreic­hes Modell in Salzburg, wo, wie Bildungsla­ndesrätin Maria Hutter mitteilte, bereits an 70 Prozent der Pflichtsch­ulen stundenwei­se Sekretaria­tskräfte im Einsatz sind.

Hopmann fordert im Hinblick auf den Schulstart im Herbst, nicht zu versuchen, „auf die Schnelle“nachzuhole­n, was man im Frühjahr verpasst zu haben glaube. „Das würde wieder die bestrafen, die ohnehin schon bestraft sind.“Man müsse sich die ersten Wochen Zeit nehmen, um so etwas wie Lernfähigk­eit, Lernvertra­uen und Gemeinscha­ftserfahru­ngen wiederherz­ustellen.

„Wir alle wissen, dass Corona nicht vorbei ist.“

Christiane Spiel, Psychologi­n

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