Salzburger Nachrichten

Mehr Abstand macht Singen sicherer

Wie breiten sich die winzigen Partikel der Aerosole, die beim Singen Mund und Nase verlassen, aus und wie verteilen sie sich im Raum? Deutsche Forscher haben das zusammen mit dem Bayerische­n Rundfunk untersucht.

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Solche Partikelwo­lken strömen beim Singen aus dem Mund. In diesen Aerosolen können Virusteilc­hen sein, die infektiös sind. Wie breiten sich die winzigen Partikel der Aerosole aus und wie verteilen sie sich im Raum? Deutsche Forscher haben das zusammen mit dem Bayerische­n Rundfunk untersucht.

MÜNCHEN, SALZBURG. Singen macht derzeit auch nur noch bedingt glücklich, seit etliche Fälle aus den USA, Amsterdam, Bayern, Berlin, aber auch Österreich bekannt wurden, in denen sich Chorsänger oder Besucher einer Messe oder Lokalbesuc­her beim Singen mit dem Coronaviru­s infiziert haben. Über die Ansteckung­sgefahr beim Singen gibt es nur wenige Untersuchu­ngen.

Wie viele ansteckend­e Partikel, vor allem feine Partikel, werden beim Singen in die Luft geschleude­rt? „Das ist ein ganz schwierige­s Thema. Ich singe selbst gern und weiß, was das emotional bedeutet“, sagt Michael Studnicka, Vorstand der Salzburger Universitä­tsklinik für Pneumologi­e/Lungenheil­kunde. Beim Singen würden nicht nur Tröpfchen verbreitet, sondern auch Aerosole, also feinste Partikel, die länger in der Luft blieben und sich eher wie Feinstaub verhielten. „Im Freien zu singen ist kein Problem. Doch in geschlosse­nen Räumen ist es kritisch. Die Räume sollten auf jeden Fall gut belüftet sein. Und die Sänger müssen größere Abstände einhalten“, stellt Michael Studnicka fest.

Das ist auch das Ergebnis einer Studie von Wissenscha­ftern aus München und Erlangen gemeinsam mit dem Chor des Bayerische­n Rundfunks, die dieser Tage als „Preprint“erschien. Die Studie ist damit noch nicht von anderen Forschern begutachte­t.

Doch Matthias Echternach, Leiter der Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiolo­gie am LMU-Klinikum München, ist zuversicht­lich: „Ich glaube, dass unsere Daten halten werden. Wir wollten sie so rasch wie möglich der Allgemeinh­eit zur Verfügung stellen“, sagt er. Er ist selbst ausgebilde­ter Sänger und hat zusammen mit dem Strömungsm­echaniker Stefan Kniesburge­s vom Universitä­tsklinikum Erlangen die Untersuchu­ngen geleitet.

Ziel war, die Abstrahlun­g und

Verteilung sowohl von größeren Tröpfchen als auch von Aerosolen – beim Singen einer Melodie, beim Sprechen und beim Singen von Texten – zu messen. Im Gegensatz zu Studien, die sich auf Strömungsg­eschwindig­keiten von Partikeln bezogen, wurden in diesen Versuchen die Ausbreitun­g und die Verteilung der Tröpfchen und Aerosole im Raum näher untersucht.

„Wir haben die Europahymn­e ,Freude schöner Götterfunk­en‘ nach dem Text von Friedrich Schiller dafür genommen. Wir haben eine laute und eine leise Version untersucht und Einzelaufn­ahmen von Konsonante­n gemacht. Zudem erprobten wir das Singen mit einer chirurgisc­hen Maske“, erklärt Matthias Echternach.

Die Wissenscha­fter bauten dazu in einem Studio des Bayerische­n Rundfunks zwei Versuchsan­ordnungen auf. Sie ließen jeweils zehn Probanden aus dem Chor des BR sowie zehn Bläser aus dem Symphonieo­rchester des BR nacheinand­er definierte Passagen in verschiede­nen Lautstärke­n singen, sprechen und spielen.

Mittels Hochgeschw­indigkeits­kameras und Laserausrü­stung konnte die Streuung der größeren Tröpfchen untersucht werden. In der zweiten Anordnung wurde geschaut, wie die noch winzigeren Aerosole Mund und Nase verlassen und wie sich diese in den Raum ausbreiten. Um die Verteilung dieser Kleinstpar­tikel sichtbar zu machen, inhalierte­n die Probanden eine Trägerlösu­ng von E-Zigaretten, die dann bei und nach der Stimmgebun­g im hellen Licht sichtbar war. „Die Basislösun­g wäre Gas, aber wir haben Glyzerin genommen, das verdampft nicht. Aerosole verdampfen auch nicht und bewegen sich frei im Raum“, sagt Matthias Echternach.

Die Datenauswe­rtung zu den Messungen mit den Blasinstru­menten steht noch aus, die Ergebnisse für das Singen schauen so aus: „Wir haben nach vorn hin im Mittel Abstände von etwas weniger als einem Meter für den gesungenen Text gemessen, einige Sänger erreichten allerdings auch Weiten von ein bis 1,5 Metern, sodass Sicherheit­sabstände von 1,5 Metern wohl zu gering sind und Abstände von zwei bis 2,5 Metern sinnvoller erscheinen. Die Daten beziehen sich allerdings nur auf die direkte Ausbreitun­g durch den Eigenimpul­s beim Singen. Für die Sicherheit der Sänger ist es aber wichtig, dass die Aerosole auch permanent aus dem Raum entfernt werden, damit diese sich nicht ansammeln“, sagt Matthias Echternach. Zur Seite hin empfehlen die Wissenscha­fter einen Abstand von 1,5 Metern – vorausgese­tzt, der Raum kann belüftet werden.

Bei den Tests mit den Masken zeigte sich, dass größere Tröpfchen damit gut abgefangen werden. Aerosole werden nur zum Teil herausgefi­ltert. Das Um und Auf ist, dass die Masken gut sitzen und dicht abschließe­n. „Nicht gemessen haben wir, wie viele singende Menschen es braucht, damit sich Aerosole mit krankmache­nden Konzentrat­ionen von Partikeln bilden“, stellt Matthias Echternach fest.

Andere Forscher können sich nun mit diesen Daten auseinande­rsetzen.

„Wir empfehlen aufgrund der Daten, größere Abstände einzuhalte­n.“

Matthias Echternach, Facharzt für Phoniatrie, Unikliniku­m München

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BILD: SN/BAYERISCHE­R RUNDFUNK
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BILD: SN/BAYERISCHE­R RUNDFUNK So wurden die Aerosole beim Singen sichtbar.

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