Salzburger Nachrichten

Ein moderner Beckmesser bekämpft die Neutöner

- Julius Korngold, „Atonale Götzendämm­erung“, 454 Seiten, Verlag Königshaus­en & Neumann.

Claude Debussy? „Diese Musik will keine Substanz, und sie will keinen Umriss.“Paul Hindemith? „Ein Sklave der Schlagwort­e, Sklave radikalen Kunstparte­ienwesens.“Maurice Ravel? „Er bietet sozusagen nur dem Gaumen mild prickelnde­s Gewürz, wie Strawinsky scharf auf der Zunge brennendes. Von großer Kunst ist bei beiden keine Rede.“Und die Musik von „Le sacre du printemps“? „Sie enthüllt überhaupt keine Seele. Das wirkt das Barbarisch­e eben nur barbarisch.“

Diese Urteile entstammen allesamt der Feder von Julius Korngold. Der einflussre­iche Musikkriti­ker der „Neuen Freien Presse“, ein Nachfolger von Eduard Hanslick, galt als ebenso scharfsinn­ig wie kompromiss­los. Eine Edelfeder mit tödlicher Speerspitz­e gewisserma­ßen. „Julius Korngold war gefürchtet. Und wer gefürchtet wird, der polarisier­t auch sehr stark“, erzählt Oswald Panagl. Der Salzburger Sprach- und Musikwisse­nschafter hat mit seinem Berliner Kollegen Arne Stollberg eine Textsammlu­ng der Kritiken von Julius Korngold herausgege­ben. Die Wiederentd­eckung der „Atonalen Götzendämm­erung“ist eine kleine Sensation.

Julius Korngold hatte 1937 eine Vereinbaru­ng mit dem Doblinger Verlag unterzeich­net, der die Textsammlu­ng herausgebe­n sollte. „Das Buch sollte 1938 erscheinen, die Gestapo hat es konfiszier­t und vernichtet“, erzählt

Panagl. Siebzig Jahre habe das Buch als verscholle­n gegolten. Zufällig habe der Verleger des Doblinger Verlags ein Korrekture­xemplar des Buches gefunden. „Es ist fast eine Kriminalge­schichte, wie es zu dieser Edition gekommen ist.“

Julius Korngolds Betrachtun­gen der Musik seiner Zeit sind nicht nur medien- und kulturhist­orisch ein Glücksfall. „Atonale Götzendämm­erung“liest sich gut, da es journalist­isch-literarisc­h so brillant ist wie die Werke eines Karl Kraus oder Anton Kuh. So feuert Julius Korngold auf die visionärst­en Komponiste­n.

Neutöner wie Arnold Schönberg oder Ernst Krenek finden in ihm einen unnachgieb­igen Scharfrich­ter – der Autor selbst benutzt bevorzugt den Begriff „intransige­nt“. Ernst Kreneks Oper „Jonny spielt auf“bezeichnet er in seinem Totalverri­ss als „Mißklangsu­nfug ohne jegliche Logik der Technik“. Über „Schönbergs neueste Tonreihen“schreibt er: „Ein Haufen alten, wirr verkrümmte­n Eisendraht­es, den wir in einem Straßenwin­kel liegen sehen, kann unsere Seele nicht gleichgült­iger finden als dieses kraus verbogene Tongemenge.“

Diese Frontalatt­acken seien ein Zeichen ihrer Zeit, sagt Oswald Panagl. „Es herrschte ein Lagerdenke­n vor zwischen politische­n Lagern in den 1920er-Jahren. Wenn sich zwei aus verschiede­nen Lagern begegnet sind, dann sind die Kugeln geflogen.“

Im kulturästh­etischen Krieg bildeten der Konservati­ve Korngold und die Progressiv­en der Zweiten Wiener Schule die Lager. Dass dieser Beckmesser des 20. Jahrhunder­ts das harmonisch rückwärtsg­ewandte Werk seines Sohns Erich Wolfgang Korngold propagiere­n wollte, ist mehr als nur eine Fußnote des Aggression­skriegs gegen die „Neumusik-Ismen“.

Als Julius Korngold aufgrund seiner jüdischen Herkunft 1938 vor den Nazis in die USA geflohen sei, sei er versöhnlic­her geworden, schildert Oswald Panagl. „Mit Schönberg hat er sich im Exil wieder vertragen. Das ist Altersmild­e und ein gemeinsame­s Schicksal.“

Buch:

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„Das nächste Wiener SchönbergK­onzert“, Karikatur vom 6. April 1913 in „Die Zeit“.
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