Ein moderner Beckmesser bekämpft die Neutöner
Claude Debussy? „Diese Musik will keine Substanz, und sie will keinen Umriss.“Paul Hindemith? „Ein Sklave der Schlagworte, Sklave radikalen Kunstparteienwesens.“Maurice Ravel? „Er bietet sozusagen nur dem Gaumen mild prickelndes Gewürz, wie Strawinsky scharf auf der Zunge brennendes. Von großer Kunst ist bei beiden keine Rede.“Und die Musik von „Le sacre du printemps“? „Sie enthüllt überhaupt keine Seele. Das wirkt das Barbarische eben nur barbarisch.“
Diese Urteile entstammen allesamt der Feder von Julius Korngold. Der einflussreiche Musikkritiker der „Neuen Freien Presse“, ein Nachfolger von Eduard Hanslick, galt als ebenso scharfsinnig wie kompromisslos. Eine Edelfeder mit tödlicher Speerspitze gewissermaßen. „Julius Korngold war gefürchtet. Und wer gefürchtet wird, der polarisiert auch sehr stark“, erzählt Oswald Panagl. Der Salzburger Sprach- und Musikwissenschafter hat mit seinem Berliner Kollegen Arne Stollberg eine Textsammlung der Kritiken von Julius Korngold herausgegeben. Die Wiederentdeckung der „Atonalen Götzendämmerung“ist eine kleine Sensation.
Julius Korngold hatte 1937 eine Vereinbarung mit dem Doblinger Verlag unterzeichnet, der die Textsammlung herausgeben sollte. „Das Buch sollte 1938 erscheinen, die Gestapo hat es konfisziert und vernichtet“, erzählt
Panagl. Siebzig Jahre habe das Buch als verschollen gegolten. Zufällig habe der Verleger des Doblinger Verlags ein Korrekturexemplar des Buches gefunden. „Es ist fast eine Kriminalgeschichte, wie es zu dieser Edition gekommen ist.“
Julius Korngolds Betrachtungen der Musik seiner Zeit sind nicht nur medien- und kulturhistorisch ein Glücksfall. „Atonale Götzendämmerung“liest sich gut, da es journalistisch-literarisch so brillant ist wie die Werke eines Karl Kraus oder Anton Kuh. So feuert Julius Korngold auf die visionärsten Komponisten.
Neutöner wie Arnold Schönberg oder Ernst Krenek finden in ihm einen unnachgiebigen Scharfrichter – der Autor selbst benutzt bevorzugt den Begriff „intransigent“. Ernst Kreneks Oper „Jonny spielt auf“bezeichnet er in seinem Totalverriss als „Mißklangsunfug ohne jegliche Logik der Technik“. Über „Schönbergs neueste Tonreihen“schreibt er: „Ein Haufen alten, wirr verkrümmten Eisendrahtes, den wir in einem Straßenwinkel liegen sehen, kann unsere Seele nicht gleichgültiger finden als dieses kraus verbogene Tongemenge.“
Diese Frontalattacken seien ein Zeichen ihrer Zeit, sagt Oswald Panagl. „Es herrschte ein Lagerdenken vor zwischen politischen Lagern in den 1920er-Jahren. Wenn sich zwei aus verschiedenen Lagern begegnet sind, dann sind die Kugeln geflogen.“
Im kulturästhetischen Krieg bildeten der Konservative Korngold und die Progressiven der Zweiten Wiener Schule die Lager. Dass dieser Beckmesser des 20. Jahrhunderts das harmonisch rückwärtsgewandte Werk seines Sohns Erich Wolfgang Korngold propagieren wollte, ist mehr als nur eine Fußnote des Aggressionskriegs gegen die „Neumusik-Ismen“.
Als Julius Korngold aufgrund seiner jüdischen Herkunft 1938 vor den Nazis in die USA geflohen sei, sei er versöhnlicher geworden, schildert Oswald Panagl. „Mit Schönberg hat er sich im Exil wieder vertragen. Das ist Altersmilde und ein gemeinsames Schicksal.“
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