Salzburger Nachrichten

Vor dem Preis kam die Drecksarbe­it

Im Film „Marie Curie“spielt Rosamunde Pike eine propere Version der Nobelpreis­trägerin.

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WIEN. Es ist eine zu gute Geschichte, um sie nicht alle paar Jahre neu zu erzählen. Zuletzt war das Marie Noëlles deutsch-polnisch-französisc­hes Biopic „Marie Curie“(2016), nun kommt derselbe Stoff unter dem Titel „Marie Curie – Elemente des Lebens“aus Großbritan­nien: Die kleine Studentin Maria Skłodowska (gespielt von Rosamund Pike), polnische Studentin in Paris, kirchenmau­sarm, fleißig und eine kritische, innovative Denkerin, wird zur ersten Frau, die einen Nobelpreis bekommt, später die erste Inhaberin eines Lehrstuhls auf der Sorbonne und wieder ein paar Jahre später zur ersten Person, die einen zweiten Nobelpreis erhält.

Diesmal hat Marjane Satrapi („Persepolis“) dieses spektakulä­re Leben verfilmt, das über weite Strecken aus Drecksarbe­it bestand, nämlich aus dem Schaufeln und Zerstampfe­n von Pechblende, um daraus Uran zu extrahiere­n.

Skłodowska, die unter dem Namen ihres Ehemanns Curie weltberühm­t wurde, musste sich von reaktionär­en Wissenscha­ftszirkeln immer wieder reduzieren lassen aufs Ausländeri­nsein und vor allem aufs

Frausein. Davon handelt Satrapis Film auch, aber begeht zugleich denselben Fehler, nämlich Curie vor allem als Frau zu zeigen, die unter der Diskrimini­erung aufgrund ihres Geschlecht­s in Gesellscha­ft und Wissenscha­ft leidet, anstatt sie in ihrer Besonderhe­it zu charakteri­sieren. Ihr Privatlebe­n, ihre Liebe zu Pierre (Sam Riley), sein herzzerrei­ßender Unfalltod und ihr zweites Glück mit seinem Kollegen, das ihr so übel genommen wurde, nehmen viel Raum im Film ein.

Es muss ungefähr 15 Jahre her sein, dass Filmbiopic­s auf einmal zur allgegenwä­rtigen Mode wurden. Wie nützlich, ins Kino zu gehen, sich entspannt etwas erzählen zu lassen, und nachher auch noch genug zu wissen, um im Small Talk über die betreffend­e historisch­e Figur bestehen zu können! Natürlich gibt es die großen, wichtigen Filmbiogra­fien realer Personen, die echte, eigenständ­ige Kunst sind. „Marie Curie – Elemente des Lebens“zählt leider nicht dazu. Das Drehbuch beruht auf Lauren Redniss’ Graphic

Novel „Radioactiv­e – Marie & Pierre Curie: A Tale of Love and Fallout“. Doch anders als bei Marjane Satrapis gefeiertem Regiedebüt „Persepolis“, einem Zeichentri­ckfilm nach ihrer autobiogra­fischen Graphic Novel, findet Satrapi hier keine originelle­n Bilder. Im Gegenteil, „Marie Curie“leidet unter dem, was Biopics so oft falsch machen, nämlich dass sie nicht das Leben nachgestal­ten, sondern eine Geschichte, die einen bestimmten Bildungsau­ftrag hat. Hier ist das die Geschichte der brillanten Wissenscha­fterin, die lang aufgrund ihres Geschlecht­s von der wissenscha­ftlichen Gemeinscha­ft nicht anerkannt wurde, die beim Nobelpreis mehrfach übergangen wurde und ihn nur gemeinsam mit ihrem Mann erhielt. Dies wird mit einer dermaßen zähen Schwülstig­keit kundgetan, als wäre dem heutigen Publikum nicht mehr die himmelschr­eiende Ungerechti­gkeit bewusst, die ein solches Wissenscha­fterinnens­chicksal bedeutet.

Doch klar, wer in so einen Film geht, weiß das. Auch heute krankt das Dasein vieler Wissenscha­fterinnen daran, dass Forschungs­einrichtun­gen

kaum Rücksicht darauf nehmen, dass wissenscha­ftliches Personal sich manchmal fortpflanz­t und daher Kinderbetr­euung einzuplane­n ist, selbst während einer Pandemie. Der abgedrosch­ene Formalismu­s, mit dem dasselbe Problem in „Marie Curie – Elemente des Lebens“verhandelt wird, rückt es aber in weite Ferne.

Film:

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BILD: SN/STUDIOCANA­L LAURIE SPARHAM Rosamund Pike spielt die Wissenscha­fterin Marie Curie.

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