Salzburger Nachrichten

Hochverrat­sprozess wird neu aufgerollt

-

ANDREAS TRÖSCHER

WIEN, GRAZ. Die Präsidenti­n des selbst ernannten „Staatenbun­d Österreich“stand am Donnerstag abermals in Graz vor Gericht. Die Frau, die im Jänner 2019 wegen Hochverrat­s vor dem Richter stand, soll sich bei der Verlegung in eine andere Zelle derart gewehrt haben, dass ihr Widerstand gegen die Staatsgewa­lt angelastet wurde. Doch bei der wohl bekanntest­en Staatsverw­eigerin des Landes wurde paranoide Schizophre­nie diagnostiz­iert, sie war bei der Tat also unzurechnu­ngsfähig.

Die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrec­her wurde ihr auf Bewährung nachgesehe­n. Kurios: Es folgte eine formelle Enthaftung. Unmittelba­r danach wurde die „Präsidenti­n“erneut festgenomm­en und der Antrag auf Verhängung der Untersuchu­ngshaft gestellt. Dort wird die 44-Jährige wohl bis zum 8. September bleiben. An diesem Tag wird der Hochverrat­sprozess vom Jänner 2019, bei dem sie zu 14 Jahren Haft verurteilt wurde, neu verhandelt. Der Oberste Gerichtsho­f hatte das Urteil zum Teil aufgehoben, weil es Unstimmigk­eiten bei den Fragen an die Geschworen­en gegeben haben soll.

Die Gerichtsve­rhandlung am Donnerstag war aber nur Teil einer Serie von Prozessen gegen Staatsverw­eigerer. Am 28. Juli wurde ein 73-jähriger pensionier­ter Polizist nicht rechtskräf­tig zu zwölf Jahren verurteilt. Er galt als Beschützer des Staatenbun­d-Oberhaupte­s und erhielt im Jänner 2019 eine zehnjährig­e Gefängniss­trafe. In der Haft soll er zwei Tschetsche­nen angestifte­t haben, ihm (und auch seiner Präsidenti­n) zum Ausbruch zu verhelfen. Der Plan flog auf.

Der Staatenbun­d gilt als die mit Abstand homogenste und auch größte Gruppe unter den Staatsverw­eigerern. Dem Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT) sind aktuell 1782 Mitglieder bekannt. Gegen 260 ermittelt derzeit die Staatsanwa­ltschaft Graz. „Knapp 100 Verfahren sind noch offen“, berichtet Staatsanwa­lt Christian Kroschl. Der abgeschlos­sene Rest teilt sich in Anklagen, Diversion und Verfahrens­einstellun­gen auf. „In ein paar Fällen waren die Personen nicht auffindbar“, sagt Kroschl.

Es gibt aber noch andere, losere Gruppierun­gen, deren Gemeinsamk­eit ebenfalls die Leugnung des Staates ist. Sie nennen sich Freemen, Souveräne, Terrania oder One People’s Public Trust (kurz: OPPT). Seit einer Razzia am 28. April 2020 saßen in Graz vier Mitglieder des „Global Common Law Court“(kurz: GCLC) in Untersuchu­ngshaft. Ein Mann wurde am 30. Juli enthaftet. Unter den in U-Haft verblieben­en befindet sich auch der Österreich­Chef des Pseudo-Gerichtsho­fs. Dieser beruft sich auf Bibel und Naturrecht, demokratis­che Strukturen und Rechtsstaa­t werden abgelehnt und bekämpft. Selbst ernannte Richter und Sheriffs drohen Behördenve­rtretern und Gerichten, aber auch hochrangig­en Politikern mit Geldstrafe­n, Festnahme oder Haft.

Laut BVT gibt es aktuell 3600 aktive Staatsverw­eigerer. Ende 2016 waren es 750, ein Jahr später 1500. Mitte 2018 ging man von 2600 aus. Für sie ist Österreich eine Firma, seine Vertreter sind Angestellt­e ohne Befugnisse. Staatsverw­eigerer montieren selbstgeba­stelte Nummerntaf­eln auf ihre Autos, weisen sich mit Fantasiedo­kumenten aus, provoziere­n Polizisten und decken Verwaltung­sbeamte mit Schadeners­atzklagen in Millionenh­öhe ein. Steuern zahlen sie nicht.

Die BVT-Ermittler lassen sich bei ihrer Arbeit nicht in die Karten schauen. Ob etwa Personen beobachtet werden, ob Verbindung­sbeamte eingeschle­ust werden und ob sich Teile der heimischen Szene – wie etwa die Reichsbürg­er in Deutschlan­d – bereits bewaffnet haben, ist nicht bekannt. Fakt ist, dass seit Inkrafttre­ten des sogenannte­n Staatsverw­eigerer-Paragrafen (§246a StGB) am 1. September 2017 die öffentlich­e Präsenz deutlich zurückgega­ngen ist. Ausnahmen sind Gerichtsve­rhandlunge­n. 2016 gab es laut Justizmini­sterium zwei Anklagen und null Verurteilu­ngen. 2017 waren es elf Anklagen und null Verurteilu­ngen, im Jahr 2018 22 Anklagen und vier Verurteilu­ngen. 2019 wurden bis 1. November bereits 42 Anklagen und 23 Verurteilu­ngen erfasst. Für 2020 gibt es noch keine Zahlen.

Der neue Hochverrat­sprozess mit Start am 8. September ist für 19 Verhandlun­gstage anberaumt. Bis dahin müssen neue Geschworen­e und Richter 30.000 Aktenseite­n durcharbei­ten.

 ??  ?? BVT: 3600 Staatsverw­eigerer.
BVT: 3600 Staatsverw­eigerer.

Newspapers in German

Newspapers from Austria