Salzburger Nachrichten

Der Löwe mit dem Menschenki­nd im Maul

- DANIELE.PABINGER@SN.AT

Eine seltene Löwendarst­ellung findet sich in der Pfarrkirch­e Kuchl: Das Raubtier mit dem Menschenki­nd im Maul ziert den Aufgang zur 500 Jahre alten Kanzel. Dieser Predigtstu­hl aus Adneter Marmor ist eine Kostbarkei­t, der die Zeit rein gar nichts anhaben konnte. Die Jahreszahl 1520 belegt das Alter.

Der Löwe hat das menschlich­e Wesen mit seinem Maul gepackt. Ist er im Begriff, es zu verschling­en? Oder lässt er seine Beute vielleicht doch noch fallen? Wer die aus „Adneter Scheck“gemeißelte Skulptur ansieht, wird als Erstes Gedanken wie diese haben – das ist heute sicherlich nicht viel anders als vor Jahrhunder­ten. Vielleicht aber fühlten sich im späten Mittelalte­r die Betrachter auch noch ganz anders angesproch­en.

Aufmerksam auf den Kuchler Löwen machte der Tennengaue­r Theologe und Historiker Michael Neureiter. Er verortet die Symbolik dieser Darstellun­g im Buch der Psalmen im Alten Testament (Psalm 22, 22: „Rette mich vor dem Rachen des Löwen!“) und im ersten Petrusbrie­f im Neuen Testament (1 Petr 5, 8 f.): „Euer

Widersache­r, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschling­e. Leistet ihm Widerstand in der Kraft des Glaubens!“Dieser Widerstand könne von der Kanzel aus gestärkt werden, dem Ort der Verkündung, wie Neureiter ausführt, denn Gottes Wort bezwinge den Löwen/Teufel.

Dämonisch oder furchteinf­lößend wirkt der Löwe in Kuchl an sich nicht. Das unterschei­det ihn etwa vom romanische­n Löwen im steirische­n Stift Admont, der auch mit menschlich­er Beute dargestell­t ist.

Beim Kuchler Löwen hat der unbekannte Künstler den Tierkopf mit dem Kind so aus dem gesprenkel­ten Marmorstei­n herausgear­beitet, dass er sich vom restlichen Tierkörper heller abhebt. Ein meisterhaf­ter Kunstgriff!

Der verwendete Adneter Scheck könne von Rot bis ins Bräunliche und Graue gehen, sagt Clemens Deisl, Geschäftsf­ührer von Marmor Kiefer in Oberalm. „Der Scheck ist vor allem für figürliche Darstellun­gen verwendet worden, weil das Material so lebendig wirkt.“

 ?? BILD: SN/MICHAEL NEUREITER ?? Der Kindsraub durch das Raubtier – eine schaurige Szene.
BILD: SN/MICHAEL NEUREITER Der Kindsraub durch das Raubtier – eine schaurige Szene.
 ??  ?? Daniele Pabinger
Daniele Pabinger

Newspapers in German

Newspapers from Austria