Putins Corona-Impfstoff ruft viel Misstrauen hervor
Russlands Präsident überraschte am Dienstag nicht nur mit der Zulassung des weltweit ersten Impfstoffs gegen das Coronavirus. Die Geheimnistuerei nährt auch viele Zweifel.
Die Gerüchte hatten sich zuletzt verdichtet: Aber dass der russische Präsident Putin tatsächlich noch im August die weltweit erste Zulassung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus verkündet, hat kaum jemand für möglich gehalten. Die Russen haben im Gegensatz zu den Europäern, Amerikanern oder Chinesen bisher alle
Daten über ihre Impfstoffkandidaten geheim gehalten. Offenbar wurden auch die sonst weltweit geltenden Sicherheitsstandards mit großen klinischen Studien noch nicht erfüllt. Aus diesen Gründen zeigten sich am Dienstag nach der überraschenden Bekanntgabe des Impfstoffs mit dem Namen „Sputnik V“führende Experten von der Weltgesundheitsorganisation
(WHO) abwärts skeptisch. Herwig Kollaritsch, Mitglied der Corona-Taskforce im österreichischen Gesundheitsministerium, kann sich nicht vorstellen, dass in der kurzen Studienphase problematische Nebenwirkungen und vielleicht sogar krankheitsverstärkende Effekte ausreichend abgeklärt und ausgeschlossen werden konnten. Die Coronaexperten fürchten auch wachsendes Misstrauen, wenn man Impfstoffe vorschnell zulässt. Das könnte, wie auch Salzburger Ärzte betonen, die ohnehin in Österreich ausgeprägte Impfmüdigkeit wieder verstärken.
Die Coronakrise hatte zuletzt wieder zu einer stärkeren Impfbereitschaft geführt.
Nach der Ankündigung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, einen Coronaimpfstoff zugelassen zu haben, fragt man sich natürlich, wie das in so kurzer Zeit möglich sein kann. Details des Impfstoffs sind nicht bekannt, es wird derzeit noch viel spekuliert. Allerdings erfolgte die Zulassung offenbar noch ohne große Wirksamkeitsprüfung (Phase-III-Studien) an Tausenden Probanden, die in Europa, aber auch in den USA oder China obligatorisch sind. Herwig Kollaritsch, Coronaexperte der MedUni Wien und Mitglied der Task Force des Gesundheitsministeriums, erklärt im SN-Interview, warum gerade die letzte Phase der klinischen Studien besonders wichtig ist und welche problematischen Nebenwirkungen dabei oft erst entdeckt werden.
SN: Sind Sie überrascht, dass der russische Präsident Putin am Dienstag verkündete, er habe einen Impfstoff gegen das Coronavirus zugelassen? Herwig Kollaritsch: Natürlich gibt es auch in der Medizin Wunder, aber sie sind selten. Mir ist keine einzige Publikation in einem hochwertigen medizinischen Journal bekannt, die etwas über diesen Impfstoff schreibt. Daten darüber, was das für ein Impfstoff ist, wie das Profil des Impfstoffs aussieht, was mögliche problematische Nebenwirkungen und die Wirksamkeit betrifft, sind bisher nicht öffentlich zugänglich.
SN: Bisher sind weltweit alle Experten davon ausgegangen, dass es bei Einhaltung aller erforderlichen Sicherheitsstandards einen Impfstoff nicht vor dem nächsten Jahr oder frühestens Ende dieses Jahres geben wird. Ist es denkbar, alle Sicherheitskriterien schon jetzt erfüllen zu können?
Das wäre sehr überraschend. Positiv formuliert: Ich freue mich, wenn Präsident Putin einen wirksamen Impfstoff hat. Ich weiß nur eines sicher: Ohne die entsprechende Dokumentation würde ein solcher Impfstoff in Europa vor der Arzneimittelbehörde keine Zulassung bekommen und daher wäre er in Europa auch nie verfügbar.
Russland hat auch andere eigene Impfstoffe wie zum Beispiel gegen Zecken (FSME), die bei uns aufgrund ihrer mangelhaften Dokumentation nie zugelassen würden. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass beim neuen Coronaimpfstoff der Russen nach der kurzen klinischen Testphase, soweit wir das wissen, eine entsprechende klinische Dokumentation vorliegt, die den Kriterien der europäischen Arzneimittelbehörde auch nur einigermaßen nahekommt.
SN: Das heißt, auch in Expertenkreisen weiß man gar nichts von diesem Impfstoff?!
Wir wissen gar nichts vom russischen Impfstoff. Ganz im Gegensatz zu den europäischen, den amerikanischen, den chinesischen oder den koreanischen Impfstoffen, über die sehr genau der jeweilige Stand der Forschung dokumentiert ist.
SN: Warum kann man einen Impfstoff nicht in wenigen Monaten entwickeln?
Für eine Phase-III-Studie, die für einen Impfstoff zum Beispiel erforderlich ist, muss man eine kritische Größe an Personen einschließen, um auch seltene Nebenwirkungen erfassen zu können. Und wir sprechen hier von rund 30.000 Personen.
Das allein braucht einfach eine gewisse Zeit, um nicht nur diese
Leute zu rekrutieren, sondern sie auch entsprechend durch die Impfprozedur durchzuführen, sie nachzubeobachten und die Daten auszuwerten. Sie können ja nicht jemanden impfen, nach Hause schicken und dann sagen, wenn er nicht stirbt, ist alles in bester Ordnung. Das ist zu wenig.
Wenn es sich aber wirklich um so ein Wunder in der Medizin handeln sollte, bin ich überzeugt, dass Russland den Impfstoff auch bei der europäischen Arzneimittelbehörde zulassen wollen wird. Denn das ist auch klar: Ein Coronaimpfstoff ist ein riesiges Geschäft.
SN: Müsste man vor diesem Hintergrund jetzt nicht ohnehin besonders strenge Kriterien für einen Impfstoff anlegen?
Die strengen Richtlinien gelten völlig zu Recht. Sie verwenden einen Impfstoff an einem gesunden Menschen, der soll bitte auch gesund bleiben. Wenn ich zum Beispiel ein Medikament gegen Kopfschmerzen zulasse, wird ein Patient mit großem Leidensdruck vielleicht auch ein Arzneimittel akzeptieren, das ihn von den Schmerzen befreit, aber einen trockenen Mund erzeugt. Ein Patient wird aber einen Impfstoff, durch den er Fieber bekommt, nicht akzeptieren. Außer die Indikation ist so dringend, dass es keine andere Möglichkeit gibt, wie das etwa beim Pockenimpfstoff der Fall war.
In vielen Staaten gehen die Uhren ein bisschen anders, wenn es um lokale Zulassungen geht. Ich bin überglücklich, dass ich in Europa lebe, wo es strenge Zulassungskriterien für die Impfstoffe gibt, und dass diese – das ist wichtig – auch für die Coronaimpfstoffe nicht abgeändert werden. Es gibt immer wieder Verschwörungstheoretiker, die das in Zweifel ziehen. Aber Lockerungen kommen hier nicht infrage.
SN: Sie haben als mögliche nicht akzeptable Nebenwirkung Fieber genannt: Wäre Fieber als Nebenwirkung aber wirklich so schlimm?
Fieber und Fieber sind zwei unterschiedliche Dinge. Wenn zum Beispiel ein Prozent der Studienteilnehmer Fieber um 38 Grad herum bekommt, ist das bedauerlich, aber nicht problematisch, wenn das genau beschrieben ist und man den Patienten dahingehend aufklären kann. Wenn aber zehn Prozent der Patienten Fieber über 39,5 Grad bekommen, dann ist das, überspitzt formuliert, ein Drama. Weil das kann den einen oder anderen das Leben kosten.
SN: Welche Nebenwirkungen könnten bei Coronaimpfstoffen besondere Probleme machen? Man hat große Angst vor einer durch Antikörper bedingten Krankheitsverstärkung. Wenn durch einen Impfstoff ungenügende oder schlechtwertige Antikörper gebildet werden, kann es sein, dass bei einem Patienten, der nach der Impfung mit dem Virus infiziert wird, die Krankheit nicht verhindert, sondern sogar verstärkt wird. Wir kennen das auch von anderen Impfstoffen. Der Patient wird dabei trotz Impfung nicht nur krank, sondern er wird schwerer krank als ohne die Impfung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass derartige Phänomene in so kurzer Zeit, wie man den russischen Impfstoff entwickelt hat, ausreichend abgeklärt wurden.
„Kriterien für Impfung nicht aufweichen.“