Der Protest in Belarus wird leiser
Offenbar gelingt es Alexander Lukaschenkos Sicherheitsapparat, die Protestwelle in Belarus zu unterdrücken. Mit Repressalien, die an die Stalin-Zeit erinnern.
Es gibt Polizisten, die sich für ihren Staat schämen. „Ich würde Ihre Beschwerde selbst unterschreiben“, sagte ein Minsker Beamter zu Anna Beresina, die ihm ein Informationsblatt zu den gefälschten Auszählungen bei der Präsidentschaftswahl überreicht. „Aber ich habe einen Kredit über fünftausend Dollar am Hals, ich darf meine Arbeit jetzt nicht verlieren.“Keineswegs alle Polizisten seien Bestien, sagt die unabhängige Wahlbeobachterin Anna Beresina und lächelt traurig.
Fünf Tage nach dem massiv manipulierten Wahlsieg Alexander Lukaschenkos ist der Ruf der belarussischen Polizei so ruiniert wie der ihres Staatschefs. Mehrere Nächte lang veranstalteten die Sicherheitsorgane
brutale Treibjagden auf Zehntausende Landsleute, die gegen Lukaschenkos getürkten Sieg protestierten. „Die Repressalien der Staatsmacht sind beispiellos“, urteilt der Minsker Politologe Alexander Kasakewitsch. „Aber offenbar gelingt es dem Sicherheitsapparat, die Protestwelle zu unterdrücken.“Noch hofft die Opposition auf einen Generalstreik, am Donnerstag standen etwa ein Dutzend Betriebe still. Doch die Obrigkeit fühlte sich schon am Mittwoch so weit als Herr der Lage, dass sie das lahmgelegte Internet wieder einschaltete.
Belarus erlebte Tage des Entsetzens. Auf offener Straße schlugen und traten Einsatzpolizisten auf dem Boden liegende Menschen, sie feuerten Blendgranaten direkt in die Menschenmengen. Aus Polizeibussen hörte man minutenlang Schmerzensschreie von Festgenommenen. Autos, deren Fahrer die Demonstranten durch Hupen unterstützten, wurden mit Knüppeln
demoliert. In Grodno wurde ein fünfjähriges Mädchen blutig geschlagen, in Brest schossen die Ordnungshüter scharf auf Protestierende, überall wurden auch Passanten niedergeknüppelt und weggeschleppt. Journalisten erging es ebenso.
Ein Demonstrant kam Montagnacht in Minsk um, nach Angaben von Augenzeugen traf ihn eine Blendgranate, im Gomel starb ein junger Mann in einem Polizeibus an Herzversagen. Die Zahl der Schwerverletzten ist unklar, nach Angaben des Innenministeriums wurden allein an den ersten drei Tagen 6000 Menschen festgenommen.
Viele wagen nicht mehr zu demonstrieren. Sowjetische Ängste werden wieder laut. „Wenn ich jetzt auf die Straße gehe, komme ich vielleicht erst in zehn Jahren wieder zurück“, erklärte ein Minsker dem russischen Kanal TV Doschd.
In Osteuropa droht ein Polizeistaat nach dem Vorbild des sowjetischen Gulagsystems aufzuerstehen. Wie damals müssen sich die Belarussen wieder vor nächtlichen Festnahmen oder dem Verschwinden in
Straflager fürchten. Und sie rätseln über die Wut, mit der ihre Landsleute in Einsatzmonturen über sie herfallen. „Offenbar wollte die Staatsmacht alle Unmutsäußerungen im Keim ersticken, um so etwas wie den Kiewer Maidan-Aufstand 2014 zu vermeiden“, erklärt Politologe Kasakewitsch.
Es gibt in diesen finsteren Tagen in Belarus auch Lichtblicke. Am Mittwoch und Donnerstag bildeten sich in den weißrussischen Städten hell gekleidete Menschenketten, um gegen die Polizeigewalt zu demonstrieren. Meist nahmen einander junge Frauen an den Händen, viele trugen Blumen in der Hand. Männliche Demonstranten wären wohl wieder unter die Polizeiknüppel geraten.