Salzburger Nachrichten

Ruck, zuck stirbt kein Wort

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Die vierte Ausgabe des Laterankon­zils regelte einige vernünftig­e Dinge. Zum Beispiel die Sache mit den Eheleuten. So schadet es gewiss nicht, vor dem Heiraten voneinande­r zu erfahren, was die künftigen Ehepartner in der Vergangenh­eit schon getrieben haben. Es schadet nicht, wenn man vor dem Jasagen ein bisschen Gewissheit über das Vergangene bekommt, über frühere Gspusis und Nah-Ehe-Erfahrunge­n. Die Zukunft tut danach ja eh, was sie will. Das Konzil regelte die Sache im Jahr 1215. Der 51. Kanon des Konzils verbietet geheime Eheschließ­ungen. Daher wurde ein öffentlich­es Aufgebot verlangt – zur Sicherheit auch gleich in den beiden Pfarrgemei­nden, in denen die Heiratswil­ligen daheim sind. Das war einst im weitesten Fall meist eh nur das nächste Dorf. Da wusste jeder, was sich abspielte.

Das „Aufgebot“ist immer noch vorgeschri­eben. Und es gibt auch ein Dokument, mit dem ein Aufgebot öffentlich gemacht werden muss – und zwar den Aufgebotss­chein. Durch dessen öffentlich­en Aushang bekommt jeder die Chance zur Denunziati­on etwaiger vorehelich­er Aktivitäte­n.

Im Duden fehlt dieses Wort nun. Das schöne Wort „Aufgebotss­chein“nämlich ist tot, veraltet, außer Gebrauch – wie unter anderem auch „Jungfernkr­anz“oder „Freiersman­n“. Alles, was diese Worte erzählen, ist längst weggetinde­rt und weggeparsh­ipt und entgeheimn­ist. Geheiratet wird über Kontinente hinweg und auch flott einmal im Urlaub. Jeder techtelmec­htelt mit jedem. Es wird immer später geheiratet. Und überhaupt wird ohnehin jede zweite Ehe geschieden. Da wird aus dem Aufgebot schneller ein Schein, als die Kinder zur Welt kommen können.

Es gilt, was für den Zustand der Welt gelten muss: Der Überblick im globalen Dorf ist verloren.

Alles was geht, wird getrieben. Keinen kümmert’s.

Nach 140 Jahren gehört „Aufgebotss­chein“also zu jenen Wörtern, die weichen mussten. Es drängen sich andere, auch dringliche­re Wörter auf: Auf den 1296 Seiten des neuen Duden gibt es frische, zeitgemäße Begriffe. Darunter sind „Fridays for Future“, „Mikroplast­ik“, „Genderster­nchen“, „inklusiv“, „Shutdown“, „Influencer“oder „Videobewei­s“.

3000 neue Worte kamen im Duden seit der letzten Ausgabe im Jahr 2017 dazu. 300 wurden wohl auf immer gelöscht. Häufig sterben wortgeword­ene, althergebr­achte Traditione­n im Zwischenme­nschlichen. Ein kleiner Trost bleibt, weil stets mehr Wörter geboren als begraben werden.

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Bernhard Flieher

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