Der Mann, der Disney das Musicalmachen beibrachte
Ohne den Oscarpreisträger Howard Ashman wäre „Die Schöne und das Biest“ein braves Märchen. Don Hahn hat dem großen Songschreiber mit der Doku „Howard“ein Denkmal gesetzt.
„Arielle“, „Aladdin“und
„Die Schöne und das Biest“
– kaum eine Kindheit der vergangenen 30 Jahren ist ohne diese Disney-Musicals ausgekommen. Die Songtexte hat ein Mann geschrieben, dessen Leben nun selbst Filmstoff ist:
Mit der Doku „Howard“hat DisneyUrgestein Don Hahn dem Autor Howard Ashman ein Denkmal gesetzt, das nun auf Disney+ zu sehen ist. Durch seinen frühen Tod wurde Ashman über seine Arbeit hinaus zum Symbol: Als er 1992 posthum seinen zweiten Oscar für den Besten Song in „Die Schöne und das Biest“erhielt, ging die Auszeichnung erstmals an ein Aidsopfer.
SN: Herr Hahn, bevor Howard Ashman Mitte der Achtzigerjahre als Songschreiber zu
Disney kam, hatte er vor allem Off-Broadway gearbeitet.
Warum war das wichtig?
Don Hahn: Er wusste aus der Bühnenpraxis enorm viel über Musicals. Er wusste, dass es in einem 90Minuten-Stück fünf oder sechs unterschiedliche musikalische Stimmen braucht, beispielsweise etwas Komödiantisches und eine Ballade – und es braucht einen bestimmten Musikstil. Von ihm kam die Idee, die Musik in „Arielle“karibisch zu machen – dabei ist es eine dänische Geschichte. Wie soll karibischer Reggae-Sound in ein dänisches Märchen passen? Aber es funktioniert. Der Mut zu genau solchen Einfällen hat ihn ausgemacht.
SN: Es hatte ja damals seit den 50ern keine großen DisneyMusicals gegeben, richtig?
Wir waren zu diesem Zeitpunkt ein junges Animationsstudio, lauter junge Frauen und Männer, die versucht haben, tolle Filme zu machen. Aber um ehrlich zu sein: So wirklich war uns das noch nicht gelungen. Dann kam Howard dazu – und hat uns alle weiter gebracht. Schon allein dadurch, wie er wochenlang daran feilte, die interessanteste, cleverste Version eines Songs zu finden. Wobei es ihm nie um den einzelnen Song ging, sondern immer um die ganze Geschichte, er war im Grunde auch Dramaturg und Regisseur. Es funktioniert nicht, einfach einen externen Songschreiber zu beauftragen, drei Lieder zu schreiben. Manchmal passiert das – und das Ergebnis ist furchtbar.
SN: Bei Ashman sind die
Songs keine Vignetten, die die Geschichte unterbrechen
– im Gegenteil.
Genau. Ein echtes Musical, im Sinne der Broadway-Musicals, nutzt die Songs, um die Handlung weiterzutreiben. Da sind die Figuren so voller Gefühle, dass sie nicht anders können, als darüber zu singen. „Ich habe Flossen, aber ich will Beine“, oder der Bösewicht singt davon, wie er den Helden besiegen wird. Songs so einzusetzen ist die Tradition der großen Broadway-Musicals. Das haben wir durch Howard gelernt, das zeichnet „Arielle“und „Die Schöne und das Biest“aus, und später dann auch Filme wie „Der König der Löwen“oder „Pocahontas“.
SN: Ihr Film handelt auch davon, dass Ashman in den 80er-Jahren viele geliebte Menschen an
Aids verloren hatte – und dann auch selbst erkrankte. Wie haben Sie diese Zeit in der Branche erlebt?
Ich war ja schon seit Mitte der 70er bei Disney, direkt vom College aus. In Hollywood und am Broadway gab es relativ früh ein Bewusstsein für die Aidskrise, weil die Verluste enorm waren. Es gab Jahre, in denen Dutzende Choreografen, Songschreiber und Regisseure an Aids starben. Dazu kam, dass diese Epidemie eine politisch kontroversielle Krankheit war, weil lang behauptet wurde, HIV beträfe nur Schwule. Auf der Straße haben die Leute demonstriert und behauptet, Aids sei Gottes Strafe für Homosexualität. Das mag heute lächerlich klingen, aber das alles waren Gründe, weshalb Howard verschwieg, dass er HIV-positiv war. Das ist heute verständlich: Manche Firmen haben HIV-Positiven gekündigt, manche haben daraufhin ihre Versicherung verloren. In diesem Kontext wirkt Howards Arbeit noch beachtlicher.
SN: „Die Schöne und das
Biest“wird von manchen als Aidsmetapher gesehen.
Hat Sie das überrascht?
Als nach Howards Tod der Film rauskam, gab es einen Bericht des berühmtem CBS-Journalisten Dan Rather, in dem er den Film als Aidsmetapher interpretiert. Während der Arbeit haben wir darüber nicht gesprochen, aber rückblickend war uns sofort klar, dass es so verstanden werden konnte. Howards Schwester sagt heute, das sei albern, Howard hätte sich nie so persönlich in einen Song eingebracht. Aber man ist immer ein Produkt seiner Zeit, selbst wenn man sich dessen nicht bewusst ist. Wenn Howard den „Mob Song“für „Die Schöne und das Biest“schreibt, über aggressive Leute, die aus Angst und Ignoranz mit Fackeln und Heugabeln losziehen, ist das doch eine sehr zeitgemäße Parabel für damals. Und leider ist das sogar zeitgemäß für heute.