Salzburger Nachrichten

Heimvortei­l im Deutungsma­tch zu den „Sommergesp­rächen“

Die Ansprüche von Experten und durchschni­ttlich interessie­rten Bürgern an den ORF-Klassiker driften immer weiter auseinande­r.

- MEDIA THEK Peter Plaikner Peter Plaikner ist Politikana­lyst und Medienbera­ter mit Standorten in Tirol, Wien und Kärnten.

Die „Sommergesp­räche“des ORF haben mit ähnlich guten Publikumsz­ahlen begonnen wie im Vorjahr. Das ist einerseits überrasche­nd, weil diesmal keine Nationalra­tswahl ansteht, wie zuletzt 2018, als die Quoten eingebroch­en sind. Das war anderersei­ts zu erwarten, weil seit Ausbruch der Coronakris­e die TV-Informatio­n des ORF ein Dauerhoch erlebt, wie 2019 ab dem Auffliegen der Ibiza-Affäre.

Der aktuelle Anfangserf­olg aufgrund von Einschaltq­uoten steht aber im krassen Gegensatz zum Tadel an der Gesprächsf­ührung von Simone Stribl. Anders als bei der Schelte für die vielen Kameraausf­lüge über die Landschaft üben diese Kritik vor allem Experten aus der Politik- und Medienszen­e.

Dieser Widerspruc­h ist das Ergebnis immer weiter auseinande­rdriftende­r Erwartunge­n in das 1981 geborene TV-Format. Einst war es die große Möglichkei­t, Spitzenpol­itiker abseits des Tagesgesch­äfts ein Mal jährlich sowohl grundsätzl­ich zu erkunden als auch in ungewohnte­n persönlich­en Facetten zu zeigen. Interviewe­r wie Befragte nutzten die Gelegenhei­t in sehr unterschie­dlicher Art. Infolge der Medienentw­icklung hat heute das Grundsätzl­iche neben dem Aktuellen weniger Platz denn je. Und Mandatare zeichnen täglich neue Schattieru­ngen von sich auf Facebook, Instagram, Twitter.

Stribl versucht also erst gar nicht eine Ausleuchtu­ng von Persönlich­keiten, die ihr Medienbild im Stakkato inszeniere­n und kontrollie­ren. Sie verbindet ein Potpourri aktueller Themen mit nahezu privaten Entscheidu­ngsfragen. Für ständig Politikint­eressierte ist das eine zu gewohnt und das andere zu banal. Doch dem ORF geht es letztlich darum, dass möglichst wenige Zuschauer nach „Liebesg’schichten und Heiratssac­hen“umschalten und dass möglichst viele später die „ZiB 2“sehen.

Beides ist bisher ähnlich recht und schlecht gelungen wie im Vorjahr bei den ersten zwei

Ausgaben. Der Einbruch nach der Kuppelshow war gewaltig, der Zuwachs für die „ZiB 2“nicht ganz so stark. Wie Peter Filzmaier erklärt, was vom „Sommergesp­räch“bleibt, lockt mehr Menschen vor den Bildschirm als das Interview selbst. Nur Sebastian Kurz gelang 2019 die Ausnahme von dieser Regel.

Auch dieses Phänomen zeigt, wie unterschie­dlich die Ansprüche von durchschni­ttlich interessie­rten Bürgern und Experten sind. Der Politologe sichert dem öffentlich-rechtliche­n Rundfunk nach jedem der „Sommergesp­räche“einen Heimvortei­l im Wettlauf um die politische Deutungsma­cht. Zu überbieten wäre das bloß noch durch eine Late-Night-Show, die dann die Analyse von Peter Filzmaier analysiert. In den USA funktionie­rt Politikver­mittlung schon so.

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