Heimvorteil im Deutungsmatch zu den „Sommergesprächen“
Die Ansprüche von Experten und durchschnittlich interessierten Bürgern an den ORF-Klassiker driften immer weiter auseinander.
Die „Sommergespräche“des ORF haben mit ähnlich guten Publikumszahlen begonnen wie im Vorjahr. Das ist einerseits überraschend, weil diesmal keine Nationalratswahl ansteht, wie zuletzt 2018, als die Quoten eingebrochen sind. Das war andererseits zu erwarten, weil seit Ausbruch der Coronakrise die TV-Information des ORF ein Dauerhoch erlebt, wie 2019 ab dem Auffliegen der Ibiza-Affäre.
Der aktuelle Anfangserfolg aufgrund von Einschaltquoten steht aber im krassen Gegensatz zum Tadel an der Gesprächsführung von Simone Stribl. Anders als bei der Schelte für die vielen Kameraausflüge über die Landschaft üben diese Kritik vor allem Experten aus der Politik- und Medienszene.
Dieser Widerspruch ist das Ergebnis immer weiter auseinanderdriftender Erwartungen in das 1981 geborene TV-Format. Einst war es die große Möglichkeit, Spitzenpolitiker abseits des Tagesgeschäfts ein Mal jährlich sowohl grundsätzlich zu erkunden als auch in ungewohnten persönlichen Facetten zu zeigen. Interviewer wie Befragte nutzten die Gelegenheit in sehr unterschiedlicher Art. Infolge der Medienentwicklung hat heute das Grundsätzliche neben dem Aktuellen weniger Platz denn je. Und Mandatare zeichnen täglich neue Schattierungen von sich auf Facebook, Instagram, Twitter.
Stribl versucht also erst gar nicht eine Ausleuchtung von Persönlichkeiten, die ihr Medienbild im Stakkato inszenieren und kontrollieren. Sie verbindet ein Potpourri aktueller Themen mit nahezu privaten Entscheidungsfragen. Für ständig Politikinteressierte ist das eine zu gewohnt und das andere zu banal. Doch dem ORF geht es letztlich darum, dass möglichst wenige Zuschauer nach „Liebesg’schichten und Heiratssachen“umschalten und dass möglichst viele später die „ZiB 2“sehen.
Beides ist bisher ähnlich recht und schlecht gelungen wie im Vorjahr bei den ersten zwei
Ausgaben. Der Einbruch nach der Kuppelshow war gewaltig, der Zuwachs für die „ZiB 2“nicht ganz so stark. Wie Peter Filzmaier erklärt, was vom „Sommergespräch“bleibt, lockt mehr Menschen vor den Bildschirm als das Interview selbst. Nur Sebastian Kurz gelang 2019 die Ausnahme von dieser Regel.
Auch dieses Phänomen zeigt, wie unterschiedlich die Ansprüche von durchschnittlich interessierten Bürgern und Experten sind. Der Politologe sichert dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk nach jedem der „Sommergespräche“einen Heimvorteil im Wettlauf um die politische Deutungsmacht. Zu überbieten wäre das bloß noch durch eine Late-Night-Show, die dann die Analyse von Peter Filzmaier analysiert. In den USA funktioniert Politikvermittlung schon so.