Auch der Kaiser steht nicht über dem Recht
Wie Österreich zu seiner Verfassung kam. Der ewige Streit um Macht – zwischen Wien und Ländern, Demokraten und Führerfiguren.
Am Anfang, könnte man sagen, gab es nur Gott und den König – der sich manchmal auch gleich Kaiser nannte. Alles Recht ging von Gott aus, und der Monarch stand in seiner Gnade und hatte in seinem Sinne zu herrschen. So sahen es wohl die meisten Menschen im Europa des Mittelalters, und die Gekrönten in den Palästen sahen es natürlich genauso. Zwar durfte man, so hieß es, auch einmal mit Gewalt gegen den König vorgehen, aber: nur in absoluten Extremsituationen, wenn der Monarch zum Tyrannen wurde. Wann aber war das der Fall? Das stand nirgends so genau.
In Österreich änderte sich alles, wenigstens kurz, im Jahr 1848. Bürgerliche Revolutionen brachen los, in Europa und auch in Österreich. Der autoritäre Staatskanzler Metternich floh, ein Reichstag trat zusammen, und der eingeschüchterte Kaiser Franz Joseph I. stimmte zu, eine Verfassung zu unterschreiben. Die trat auch am 25. April in Kraft. Aber sie war den Liberalen noch zu unmodern und autoritär, denn der Monarch hatte sich z. B. ein Vetorecht gegen unliebsame Gesetze des Parlaments gegönnt. Es kam zu weiteren Unruhen, der Kaiser ruderte zurück. Demokratisch orientierte Aktivisten formulierten in Kremsier ihre eigene Version österreichischer Verfasstheit. Die wirkte ziemlich modern, die „Leitung der Reichsregierung“haben die Minister, es gab Volkssouveränität und Gewaltenteilung.
Aber der Kaiser hatte keine Freude damit. Was war das Problem des Mannes in Schönbrunn? „Natürlich war das eine totale Umstellung, das passte überhaupt nicht zum Selbstbild des Monarchen, auch nicht in anderen Ländern Europas“, sagt etwa der Salzburger Historiker Robert Kriechbaumer. Denn eine geschriebene Verfassung bedeutet: Der König/Fürst/Kaiser ist nicht mehr nur der Untertan Gottes – sondern unterwirft sich einem von Menschen geschriebenen Dokument. Er steht nicht mehr über dem Recht. Und das mussten die Alphamänner in ihren Palästen wohl erst mal verdauen.
Dementsprechend turbulent ging es weiter: Franz Joseph löste den Reichstag im Folgejahr auf – und diktierte eine neue Verfassung, die ihm eher zusagte – und mehr Macht gab. Das sorgte für so viel neue Unruhe, dass das Dokument zurückgenommen wurde (Silvesterpatent hieß diese Verordnung). Dann war erst mal Ruhe. Bis die Monarchie, wie meistens, einen Krieg verlor, gegen Sardinien und Frankreich, und der Kaiser wieder unter Druck kam. Das war 1859. Das Oktoberdiplom von 1860 war eine Quasiverfassung und eher kaiserfreundlich, drei Monate später wurde wieder zugunsten des Parlaments nachgebessert (Februarpatent). 1866 verlor das Kaiserhaus den nächsten Krieg, diesmal gegen Preußen. Es kam zum Ausgleich, bei dem einerseits die Konstruktion Österreich-Ungarn entstand. Und auch ein relativ fortschrittliches Grundgesetz, in dem etwa Meinungs- und Pressefreiheit garantiert waren. Wobei all das wieder nur für den westlichen Teil des Reiches, nicht für Ungarn galt.
Eine demokratische Verfassung bekam Österreich erst, nachdem der Kaiser weg war, und auch gleich sein Reich: Ab 1918 begann sich die Republik Österreich zu formen, am 1. Oktober 1920 beschloss die Konstituierende Nationalversammlung Österreichs Verfassung. Die wurde 1925 noch ergänzt, 1929 beträchtlich reformiert – aber besteht in weiten Teilen bis heute.