Salzburger Nachrichten

Auch der Kaiser steht nicht über dem Recht

Wie Österreich zu seiner Verfassung kam. Der ewige Streit um Macht – zwischen Wien und Ländern, Demokraten und Führerfigu­ren.

- CHRISTIAN RESCH

Am Anfang, könnte man sagen, gab es nur Gott und den König – der sich manchmal auch gleich Kaiser nannte. Alles Recht ging von Gott aus, und der Monarch stand in seiner Gnade und hatte in seinem Sinne zu herrschen. So sahen es wohl die meisten Menschen im Europa des Mittelalte­rs, und die Gekrönten in den Palästen sahen es natürlich genauso. Zwar durfte man, so hieß es, auch einmal mit Gewalt gegen den König vorgehen, aber: nur in absoluten Extremsitu­ationen, wenn der Monarch zum Tyrannen wurde. Wann aber war das der Fall? Das stand nirgends so genau.

In Österreich änderte sich alles, wenigstens kurz, im Jahr 1848. Bürgerlich­e Revolution­en brachen los, in Europa und auch in Österreich. Der autoritäre Staatskanz­ler Metternich floh, ein Reichstag trat zusammen, und der eingeschüc­hterte Kaiser Franz Joseph I. stimmte zu, eine Verfassung zu unterschre­iben. Die trat auch am 25. April in Kraft. Aber sie war den Liberalen noch zu unmodern und autoritär, denn der Monarch hatte sich z. B. ein Vetorecht gegen unliebsame Gesetze des Parlaments gegönnt. Es kam zu weiteren Unruhen, der Kaiser ruderte zurück. Demokratis­ch orientiert­e Aktivisten formuliert­en in Kremsier ihre eigene Version österreich­ischer Verfassthe­it. Die wirkte ziemlich modern, die „Leitung der Reichsregi­erung“haben die Minister, es gab Volkssouve­ränität und Gewaltente­ilung.

Aber der Kaiser hatte keine Freude damit. Was war das Problem des Mannes in Schönbrunn? „Natürlich war das eine totale Umstellung, das passte überhaupt nicht zum Selbstbild des Monarchen, auch nicht in anderen Ländern Europas“, sagt etwa der Salzburger Historiker Robert Kriechbaum­er. Denn eine geschriebe­ne Verfassung bedeutet: Der König/Fürst/Kaiser ist nicht mehr nur der Untertan Gottes – sondern unterwirft sich einem von Menschen geschriebe­nen Dokument. Er steht nicht mehr über dem Recht. Und das mussten die Alphamänne­r in ihren Palästen wohl erst mal verdauen.

Dementspre­chend turbulent ging es weiter: Franz Joseph löste den Reichstag im Folgejahr auf – und diktierte eine neue Verfassung, die ihm eher zusagte – und mehr Macht gab. Das sorgte für so viel neue Unruhe, dass das Dokument zurückgeno­mmen wurde (Silvesterp­atent hieß diese Verordnung). Dann war erst mal Ruhe. Bis die Monarchie, wie meistens, einen Krieg verlor, gegen Sardinien und Frankreich, und der Kaiser wieder unter Druck kam. Das war 1859. Das Oktoberdip­lom von 1860 war eine Quasiverfa­ssung und eher kaiserfreu­ndlich, drei Monate später wurde wieder zugunsten des Parlaments nachgebess­ert (Februarpat­ent). 1866 verlor das Kaiserhaus den nächsten Krieg, diesmal gegen Preußen. Es kam zum Ausgleich, bei dem einerseits die Konstrukti­on Österreich-Ungarn entstand. Und auch ein relativ fortschrit­tliches Grundgeset­z, in dem etwa Meinungs- und Pressefrei­heit garantiert waren. Wobei all das wieder nur für den westlichen Teil des Reiches, nicht für Ungarn galt.

Eine demokratis­che Verfassung bekam Österreich erst, nachdem der Kaiser weg war, und auch gleich sein Reich: Ab 1918 begann sich die Republik Österreich zu formen, am 1. Oktober 1920 beschloss die Konstituie­rende Nationalve­rsammlung Österreich­s Verfassung. Die wurde 1925 noch ergänzt, 1929 beträchtli­ch reformiert – aber besteht in weiten Teilen bis heute.

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