Drücken oder nicht?
ICHhätte es wissen müssen. Es konnte gar nicht funktionieren. Aber an jenem Tag verstand ich das noch nicht. Dabei hätte es einen Hinweis gegeben. Die Beschriftung des Schalters auf dem Herren-WC war schlampig. Das Pickerl prangte nicht im Zentrum, sondern war nach unten verrutscht. Das hätte mich stutzig machen können. Solche Kleinigkeiten sind es ja, die verraten, dass etwas im Busch ist. So wie die schmutzigen Zehennägel der angeblichen Oligarchennichte auf Ibiza.
In meinem Fall aber ging es nicht um einen Politskandal, der die Regierung sprengte und Neuwahlen auslöste, sondern um viel mehr. Das Schicksal der Welt stand auf dem Spiel. Und wenn es ums große Ganze geht, bin ich kein i-Tüpfel-Reiter, sondern habe den Blick fürs Wesentliche. Und das war hier nichts weniger als Wohl und Wehe der Welt.
In so einer Situation empfindet man eine ungeheure Verantwortung. Schließlich kann man nicht alle Tage den Lauf der Welt mit der Bewegung eines Fingers verändern. In diesem Augenblick stand ich buchstäblich an einem Hebel der Macht, an einem Schalter des Schicksals. Wie der Präsident einer Atommacht, der mit einem Druck auf den roten Knopf ganze Landstriche auslöschen kann. Mein Knopf war nicht rot, sondern weiß.
Alle Für und Wider begann ich aufzulisten und genau abzuwägen. Die Lage erforderte eine umfassende Risikoanalyse samt tief greifender Folgenabschätzung. Welche Konsequenzen hätte mein Tun? Was täte ich der Welt damit an?
Ich habe mir die Entscheidung nicht leicht gemacht. Auf einen grünen Zweig kam ich freilich nicht. Wie ich es auch drehte und wendete, es blieben immer Argumente dafür und andere dagegen. Für alle Mühseligen und Beladenen könnte es die Erlösung aus ihrem Elend sein, die Chance auf einen Neustart. Zugleich würde es jene, die auf der Butterseite des Lebens gelandet waren, aus ihrem Glück reißen. Ich selbst stand zwischen beiden Positionen – vor dem Spiegel der Herrentoilette eines Lokals. Und ich hatte ganz andere Dinge im Kopf. Sollte ich eine Leberknödelsuppe bestellen oder nach Hause gehen, das war die Frage.
Jäh in einen anderen Entscheidungsprozess geschleudert wurde ich, als ich den Schalter neben dem Waschbecken entdeckte, unscheinbar platziert zwischen Seifenspender und Steckdose. Die Zeit drängte. So eine Chance galt es zu nutzen, wenn ich die verpasste Gelegenheit nicht ein Leben lang bereuen wollte. Also drückte ich den Schalter mit der Aufschrift „press to reset the world“, also drücken für den Neustart der Welt. Und dann ging das WC-Licht aus. Aber ich war erleuchtet.