Highlands auf Helgoland Ein Besuch der deutschen Nordseeinsel kann – fast – einen SchottlandUrlaub ersetzen.
Schafe, Basstölpel und feinster Whisky. Die Nordseeinsel Helgoland verspricht einen Hauch von Schottland. Nur der Dudelsack fehlt.
A„Auf Mallorca bin ich noch nie gewesen, da muss ich auch nicht hin“, sagt Manfred Schönfels, blinzelt gegen die Sonne und schaut sich um. „Für mich ist das hier ein Traum.“Der Blick vom rund 60 Meter hohen Oberland reicht über grüne Wiesen weit hinaus auf die Nordsee, auf entfernt ankernde Schiffe. Weit und breit kein Land in Sicht, außer im Osten – dort schimmern die perlweißen Strände der flachen „Düne“, Helgolands Zweitinsel, eine Art Minikaribik, die sich Gäste mit Kegelrobben und Seehunden teilen.
Der Nachname des 70-Jährigen, der seit 14 Jahren mit seiner Frau auf dem „schönen Felsen“lebt, könnte besser nicht passen. „30 Jahre lang haben wir zuvor auf Helgoland Urlaub gemacht“, erzählt der ehemaliger Klavierbauer aus dem Ruhrpott. Dann wurde die Firma verkauft. Und er beschloss, mit seiner Frau ganz auf die Insel zu ziehen. Schließlich seien hier, inmitten der Nordsee, „Mord und Totschlag und die ganze Hektik“ganz weit weg: Rund 60 Kilometer Wasserweg liegen zwischen Insel und Festland. Genug, um Zoll und Mehrwertsteuer zu entfliehen, bisweilen so stürmisch, dass Fische aufwärts fliegen, und in Fauna und Geologie so einzigartig, dass sich die Hochseeinsel wie ein Vorposten Schottlands anfühlt. Was sie einst auch war, ehe das Eiland vor 130 Jahren von britischer in deutsche Hand überging.
Wer die 184 Stufen vom Unter- ins Oberland erklimmt und sich im Sommer auf den Weg zum windumtosten Lummenfelsen und zur legendären „Langen Anna“macht, einem 47 Meter hohen Brandungspfeiler, findet sich bald unter einem Himmel voller krakeelender Seevögel wieder, die landesweit nur auf Helgoland nisten: Basstölpel und Tordalk, Dreizehenmöwe und Eissturmvogel sowie die pinguinartigen Trottellummen. Sie brüten in den vielen Schichten, Vorsprüngen und Halbhöhlen der Buntsandsteinfelsen, teilen sich in Deutschlands kleinstem Naturschutzgebiet
sozusagen eine riesige Etagenwohnung. Auch Schönfels ist fasziniert von den Helgoländer „Big Five“. Doch seine tägliche Passion gilt den Vierbeinern. 48 Heidschnucken und neun zottelige Galloway-Rinder, darunter vier Kälber. Und der Wahlhelgoländer ist der Hüter des hiesigen Ponyclubs. Ponys gibt es hier jedoch schon seit den 1970er-Jahren keine mehr. „Sie bekamen durch den Untergrund eine Hufkrankheit“, erklärt er und läuft mit einem provisorischen Schäferstab voraus zum Club. Auch einige wollbepackte Schafe folgen ihm blökend. Allesamt pflegen sie das grüne Oberland wie lebende Rasenmäher. „Sinn und Zweck der Tiere ist, die Insel pollenfrei zu halten, damit auch Allergiker ihren Nordseeurlaub genießen können“, so Schönfels. „Die Heidschnucken dürfen sich überall frei auf der Insel bewegen.“Wer also seinen Garten nicht einzäunt, dem wird schon mal das Blumenbeet abgeknabbert.
Der Weg zum Ponyclub führt entlang gewaltiger metertiefer Krater, die vom britischen Bombenhagel erzählen. Über die enormen Narben des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit hat sich längst ein grüner Teppich gelegt, und „junge Leute feiern heute Partys darin“, betroffen stimmen sie dennoch. In einer weiteren Mulde liegt der grasgrüne Holzbau des Ponyclubs versteckt. Schönfels sperrt auf, zeigt stolz Ställe, Werkstatt, eigens eingebaute Küche und das Herzstück: den Clubraum mit Tresen, Sitzecke, gepflastert mit historischen Fotos, die Ponys und Kutschen zeigen. In den glückbringenden Hufeisen an der Wand prangen die 21 Namen der Mitglieder. Immer montags trifft sich der Stammtisch, Frauen seien als Mitglieder übrigens nicht erlaubt. „Das war eben schon immer so“, schmunzelt Schönfels, der sich sein Wissen über Tiere und Landwirtschaft nach und nach erarbeitet. „Ich lerne immer wieder dazu.“
Dann schnappt sich Schönfels einen Wäschekorb voller altbackener Semmeln und zieht den gelben Wasserschlauch bis zur gegenüberliegenden Wiese mit den Galloways, um die Tränke aufzufüllen. Und schon trotten die handzahmen Tiere herbei, recken Hals und Mäuler gierig nach dem Backwerk. Mitten unter den Sympathieträgern mit den teddybärartigen Köpfen weilt auch der einzige Schafsbock. „Seine 47 Mädels sind ihm wohl zu anstrengend, er liegt immer hier bei den Rindern“, lacht Schönfels.
Weil es auf der Insel keinen Tierarzt gibt, wird der Wahlinsulaner auch schon mal zum Geburtshelfer. „Leider geht nicht jede Geburt gut, aber hier ist gerade etwas Besonderes passiert“, erzählt er und zeigt auf eine cremefarbene Galloway-Kuh, an die sich ein kleines, dunkles Kalb schmiegt. „Sie hat ihr eigenes Kalb bei der Geburt verloren, aber dieses fremde adoptiert, dessen Mutter wiederum bei der Geburt starb.“Eine schöne Geschichte von den Helgoländer Highlands.
Und man wäre nicht in den Highlands, genösse man hier nicht auch mal einen guten Schluck Single Malt. Die beste Adresse dafür: Heiners Duty Free Shop auf dem Oberland. Als „Helgoheiner“genießt Inhaber Heiner Stepper einen vorzüglichen Ruf als Whisky-Händler weit über die Insel hinaus. Den gebürtigen Münchner hat es durch die Bundeswehr nach Helgoland verschlagen, und dann sei er eben hängen geblieben, wie die meisten Helgoländer.
„Ich habe Whisky erst so wirklich auf Helgoland kennengelernt“, erzählt er, „und teile das Hobby mit meiner Frau, wir haben schon viele sehr lange Reisen durch Schottland und Irland unternommen, um Brennereien zu besuchen.“Bei ihm finden Urlauber spezielle Bottlings und exklusive Abfüllungen, getorft oder ungetorft – und übrigens auch von deutschen Brennereien. „Besonders beliebt sind meine Whisky Tastings jeden Donnerstag, viele Kunden kommen extra dafür zu mir auf die Insel“, berichtet Stepper. „Das ist natürlich praktisch auf Helgoland, wo eh niemand mit dem Auto nach Hause fahren muss.“
Wer Schottland vermisst, kann auf Helgoland seine Reisesehnsucht stillen – allein der Dudelsack, der ist hier nicht zu vernehmen. Klug, denn bei einer Inselgröße von nur zwei Quadratkilometern gäbe es schließlich vor dem Getöse schottischer Bordunpfeifen kaum ein Entkommen.