Salzburger Nachrichten

Pflicht zur Spritze?

Höchst umstritten. Wäre eine Impfpflich­t gegen das Coronaviru­s verfassung­srechtlich überhaupt möglich?

- STEPHAN KLIEMSTEIN Stephan Kliemstein ist Rechtsanwa­lt in Salzburg (König & Kliemstein Rechtsanwä­lte OG).

HHistorisc­h betrachtet existiert die Frage, inwieweit Menschen vom Staat zum Impfen verpflicht­et werden können, beinahe so lange wie Impfungen selbst. 1796 entdeckte Edward Jenner den ersten Pockenimpf­stoff. Um die Krankheit besser eindämmen zu können, erließen die USA bereits im Jahr 1813 ein Impfgesetz, das in erster Linie als Strukturie­rungshilfe bei der Verteilung des Impfstoffs fungieren sollte. Weitaus strenger ging es hingegen bei den Briten zu: Mit dem britischen Vaccinatio­n Act aus dem Jahr 1853 wurden alle Bürger verpflicht­et, ihre Kinder gegen Pocken impfen zu lassen. Wer sich weigerte, machte sich strafbar.

Die mit dem Coronaviru­s neuerlich entfachte Diskussion über eine Impfpflich­t stellt uns vor die rechtlich nicht leicht zu beantworte­nde Frage, inwieweit Covid-19Impfpfli­chten gesetzlich durchgeset­zt werden könnten – natürlich unter der Voraussetz­ung, dass es irgendwann einen Impfstoff gibt. Eine Behandlung, die nicht auf dem freien Willen, auf der Einwilligu­ng des Betroffene­n basiert, greift in die Grundrecht­e der Menschen ein, was zu einer Kollision mit den im Verfassung­srang stehenden Rechten der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion (EMRK), des Staatsgrun­dgesetzes (StGG) und jenen der Grundrecht­echarta der EU führen kann.

So gewährt beispielsw­eise Art. 8 der Menschenre­chtskonven­tion einen Anspruch auf Achtung des Privatlebe­ns, wovon auch die körperlich­e und geistige Integrität umfasst sind. Medizinisc­he Behandlung­en

ohne Zustimmung des Patienten stellen in der Regel einen Eingriff in das Recht auf Privatsphä­re dar – und solche Eingriffe sind nur sehr eingeschrä­nkt zulässig. Wie der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR) in der Vergangenh­eit betont hat, muss der Eingriff zunächst einem Schutzziel dienen, etwa dem Schutz der Gesundheit. Darunter sind sowohl die Gesundheit der Gesamtbevö­lkerung als auch jene des Einzelnen gemeint.

Impfpflich­ten müssen aber auch geeignet sein, die Durchimpfu­ngsrate innerhalb der Bevölkerun­g zu erhöhen. Kann das Ziel auch mit gelinderen Mitteln erreicht werden, sind diese Maßnahmen einer gesetzlich vorgeschri­ebenen Impfpflich­t vorzuziehe­n. Solche gelinderen Mittel können beispielsw­eise Impfempfeh­lungen, Aufklärung­sarbeiten oder kostenlose Impfprogra­mme sein. Ganz in diesem Sinne hat sich Österreich zum Beispiel der globalen Ausrottung von Polio verschrieb­en. Als Anreiz dafür, sich impfen zu lassen, sind PolioImpfu­ngen kostenfrei.

Letztlich hat auch eine Interessen­abwägung stattzufin­den: Wie sehr wird in die körperlich­e Integrität des Menschen eingegriff­en? Wie groß ist der Nutzen für die Gesamtbevö­lkerung? Oder konkreter formuliert: Welche Nebenwirku­ngen hat die Impfung? Kann die Impfpflich­t tatsächlic­h zu einem Rückgang an Infektione­n oder sogar zu einer Ausrottung der Krankheit führen?

Maßgeblich für die Beurteilun­g dieser Fragen sind in erster Linie die von Medizinern und Epidemiolo­gen durchgefüh­rten Evaluierun­gen, die anschließe­nd als Grundlage für Politiker und Rechtsexpe­rten dienen. Verfassung­srechtlich bedeutet das: Je schwerer der Eingriff für den Einzelnen, desto größer muss der Nutzen für die Bevölkerun­g sein. Nur wenn sich die Ausbreitun­g einer ansteckend­en Krankheit durch eine Impfpflich­t nachweisli­ch – zum Wohle aller – eindämmen lässt, sind Eingriffe in die Grundrecht­e Einzelner denkbar.

In Österreich gibt es zurzeit keine generelle Impfpflich­t. Bis ins Jahr 1981 war die Pockenimpf­ung verpflicht­end. Impfungen gegen Masern-Mumps-Röteln (MMR) sind zwar Teil des Impfplans, sie sind aber nicht verpflicht­end. Allerdings besteht in mehreren europäisch­en Ländern eine generelle Impfpflich­t gegen Masern für Kinder und Jugendlich­e, so etwa in Lettland, Tschechien, Slowakei, Slowenien, Kroatien, Bulgarien, Polen und Ungarn. In Italien wurde die Impfpflich­t 2017 eingeführt, Frankreich zog 2018 nach.

Seit 1. März ist in Deutschlan­d das Masernschu­tzgesetz in Kraft. Impfungen gegen Masern sind seither für Kinder und für Erwachsene, die mit Minderjähr­igen arbeiten, verpflicht­end.

Ob eine Covid-19-Impfpflich­t in Österreich kommen könnte, hängt von vielen rechtliche­n, vor allem aber auch medizinisc­hen und epidemiolo­gischen Parametern ab, die derzeit noch ungewiss sind. Geht man jedoch davon aus, dass es sich bei Covid-19 um eine Krankheit handelt, die nicht nur die erkrankte Person selbst gefährdet, sondern auch viele andere (wohl unstrittig), und ist der mit einer Impfpflich­t einhergehe­nde gesellscha­ftliche Nutzen im Rahmen der Abwägung höher zu bewerten als der Schutz des Einzelnen, wäre es theoretisc­h möglich.

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BILD: SN/STOCKADOBE-PHICHAK

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