IMPFEN
Langzeitstudien mit Zehntausenden Menschen reduzieren die Risiken für Nebenwirkungen von Impfungen. Einige sind höchst problematisch.
Nebenwirkungen und Risiken bei Impfungen sollen durch Langzeitstudien reduziert werden. Wie dies funktioniert.
SALZBURG. Regelmäßig melden derzeit Pharmaunternehmen Erfolge in der Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus. Russland will – wie in den SN berichtet – in Kürze ein Vakzin zulassen, was Experten auf der ganzen Welt kritisieren, weil wichtige Phasen in dieser Entwicklung offensichtlich nicht berücksichtigt werden. Es sind jene, die der gesundheitlichen Sicherheit jener dienen, die geimpft werden sollen oder wollen.
Heidemarie Holzmann, Professorin der Virologie an der Medizinischen Universität Wien, fasst das Wesentliche so zusammen: „Ein Impfstoff ist etwas, das man vorwiegend Gesunden verabreicht. Wir wollen einen wirksamen und sicheren Impfstoff haben. In der EU haben wir hohe regulatorisch-wissenschaftliche Anforderungen zu erfüllen und strikte gesetzliche Rahmenbedingungen. Wir können froh darüber sein. Wenn wir kein sicheres Vakzin im Kampf gegen das Coronavirus haben, schadet das dem gesamten Impfkonzept.“
Ein sicherer Impfstoff, der wirksam ist und keine unerwünschten Nebenwirkungen hat, braucht für seine Entwicklung und die sich anschließenden Testphasen vor allem eines: Zeit.
Otfried Kistner ist Virologe mit jahrzehntelanger Erfahrung und ebensolchem Wissen in der Erforschung und Entwicklung von Vakzinen in einem großen Pharmaunternehmen. Er berät heute internationale Institutionen der EU und der Weltgesundheitsorganisation (WHO). „Die Entwicklung eines Impfstoffs hat mit Sorgfalt zu tun. Kein Hersteller hat ein Interesse daran, mit einem Mittel auf den Markt zu kommen, das schlecht verträglich ist. Auch die Zulassungsbehörden sind sehr kritisch“, sagt er. Das Stichwort „Nebenwirkungen“, das in der Öffentlichkeit auch ein Reizwort ist, müsse man dazu genauer definieren. Was der Laie pauschal unter „Nebenwirkung“versteht, ist einerseits die Impfreaktion und andererseits die Impfnebenwirkung. Otfried Kistner erläutert das näher: „In diesem Sinne gibt es keinen Impfstoff ohne Nebenwirkung, also Impfreaktion. Ich spritze jemandem einen Impfstoff und möchte damit das Immunsystem anregen. Wenn das Immunsystem normalerweise gegen einen Erreger arbeitet, dann erhöht sich die Körpertemperatur, die Lymphknoten schwellen an, man kann Kopf- und Gliederschmerzen haben. Das ist das Zeichen, dass ein Infekt bekämpft wird und eine biologische Gegebenheit. Ebenso reagiert der Körper, wenn ich etwas in einen Muskel injiziere. Ich muss durch die Haut, in der sich Nervenbahnen befinden. Das ist ein mechanischer Vorgang. Nerven spüren den Druck und leiten das als Schmerz weiter. An der Einstichstelle bilden sich eine Rötung und eine Schwellung. “
Diese für die meisten Geimpften unangenehmen Tatsachen kann man in der Entwicklung und Anwendung des Impfstoffs versuchen zu reduzieren, etwa indem man wie bei den Kindern eine geringere Dosis und eine feinere Nadel nimmt. Bei kräftigeren Erwachsenen kann es sein, dass der Arzt eine längere Nadel oder eine andere Dosis wählen muss, was wiederum das Risiko erhöht, dass man von einer Impfung mehr spürt.
Die echten unerwünschten Nebenwirkungen, die, wie Heidemarie Holzmann das erklärt, pathologisch werden und Schaden anrichten, können durch Inhaltsstoffe ausgelöst werden, die im Impfstoff als Trägersubstanzen dienen. „Solchen Reaktionen kann man nicht vorbeugen, weil sie individuell sind. Unter Zehntausenden Menschen kann ein Mensch sein, dessen Körper so reagiert. Deshalb muss es Langzeitstudien mit sehr vielen
Probanden geben und eine Phase der Nachbeobachtung, wenn der Impfstoff auf dem Markt ist“, sagen Heidemarie Holzmann und Otfried Kistner. Impfstoffe werden zudem, auch wenn sie bereits angewendet werden, immer wieder überprüft, und wenn möglich in Wirksamkeit und Sicherheit verbessert.
Darüber hinaus gibt es unterschiedliche Nebenwirkungen zu bedenken, je nachdem von welcher „Bauart“Impfstoffe sind. Lebendimpfstoffe, die aus abgeschwächten Erregern bestehen, rufen eine Immunantwort hervor mit den Nebenwirkungen einer Infektion, aber ohne eine Erkrankung auszulösen. „Wenn sie das nicht tun, wirken sie nicht. Man kann aber das Virus oder das Bakterium so effektiv machen, dass man mit geringer Dosis auskommt und damit weniger Nebenwirkungen hat. Das ist ein Austarieren“, erklärt Otfried Kistner.
Die derzeit in Zusammenhang mit dem Coronavirus entwickelten RNA-Impfstoffe sind komplexer. Die Vorläufer dieser Impfstoffe auf genetischer Basis wurden in den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts
entwickelt und waren DNA-Impfstoffe. DNA und RNA sind Bestandteile des Erbguts. Spezielle Teile der genetischen Information von Viren und Bakterien werden also in den Körper eingeschleust, um das Immunsystem zu informieren und anzuregen. „Die erste Generation von DNA-Impfstoffen war in Tierversuchen erfolgreich, im Menschen hat sie nicht funktioniert. Wir wissen nicht, warum das so war. Da man die DNA in menschliche Zellkerne brachte, war die Frage, was mögliche Langzeitwirkungen sein können. Im Tierversuch hatten diese Impfungen auch in zweiter und dritter Generation der Nachkommen keine negativen Auswirkungen. Aber die Entwicklung nahm dann eine andere Richtung“, sagt Otfried Kistner.
RNA-Impfstoffe, die ursprünglich als Immuntherapie für die Behandlung von Krebspatienten „erfunden“wurden, arbeiten zielgerichteter. Sie bringen die Information nicht in den Zellkern, wo sie dann womöglich das darin befindliche Erbgut stören könnten, sondern in das Zytoplasma, das ist jene
Schicht, die zwischen dem Kern und der Hülle einer Zelle liegt. „Die Struktur der RNA ist so, dass sie nicht in das menschliche Erbgut gelangen kann. Das ist der springende Punkt. Theoretisch kann nichts schiefgehen“, sagt Otfried Kistner. Laut dem renommierten deutschen Paul-Ehrlich-Bundesinstitut für Impfstoffe gibt es auch keinen Hinweis darauf, dass die von den Körperzellen nach der Impfung aufgenommene RNA in DNA umgeschrieben wird. Eine Sicherheit zu 100 Prozent gebe es aber nie, sagt Otfried Kistner: „Als Entwickler versucht man das Beste, aber man kann nicht ausschließen, dass es den einen oder anderen Fall geben kann, in dem ein menschlicher Körper anders reagiert.“
Manche Oberflächenstrukturen von Erregern sind für das Immunsystem nicht erkennbar. Um das Immunsystem zu aktivieren, gibt es Immunverstärker, sogenannte Adjuvantien. Wenn ein solcher Stoff sehr gut ist, dann arbeitet das Immunsystem besser, was wiederum die oben beschriebenen Impfreaktionen nach sich zieht. Selten möglich ist auch, dass ein Mensch allergisch auf ein Adjuvans reagiert.
Auf ein anderes Problem weist Heidemarie Holzmann hin: die infektionsverstärkenden Antikörper. Durch Impfungen induzierte Antikörper sollen einen Schutz verleihen. Mögliche Gefahren sind aber, dass sie eine Infektion verstärken, indem sie zu einer verbesserten Aufnahme des Virus in die Zelle führen können und damit die Ausbreitung und Vermehrung des Virus begünstigen. Dieser Vorgang kann dazu führen, dass sich die Viruslast markant erhöht. „Beobachtet hat man solche Prozesse bei Dengue“, sagt Heidemarie Holzmann. Solche möglichen völlig kontraproduktiven immunologischen Effekte sind ein weiterer Grund, einen Impfstoff sorgsamst zu prüfen. Und das funktioniert nicht im Schnelldurchgang.
„Über die strengen Anforderungen in der EU können wir froh sein.“
Heidemarie Holzmann, Virologin