Salzburger Nachrichten

Der Mensch und sein soziales Dasein

Der Fotohof Salzburg bearbeitet nicht nur den Nachlass des Exilösterr­eichers Wolf Suschitzky. Mit Überraschu­ngen ist zu rechnen.

-

SALZBURG. „Großartig! Ein Wunder! So einen perfekt geordneten Nachlass haben wir noch nie gesehen.“So euphorisch reagierte man 2018 im Salzburger Fotohof, als man den Nachlass des Fotografen Wolf Suschitzky (1912–2016) als Dauerleihg­abe bekam. Wenn der gebürtige Wiener eine Aufnahme machte, erhielt der Negativfil­m eine Archivnumm­er. Die Negative wurden ausgeschni­tten, in Hüllen beschrifte­t, zudem wurden Kontaktbög­en von den Negativen angefertig­t.

Jene Bilder, die ihm als gelungen erschienen, klebte er in einen Indexkatal­og und vergab neue Nummern. „Diese chronologi­sch und thematisch gruppierte­n Bildserien ergeben ein ästhetisch anspruchsv­olles Gesamtbild – ein Ausnahmefa­ll“, schwärmt Kurt Kaindl vom Fotohof.

Das Lebenswerk des 1934 wegen des Austrofasc­hismus von Wien nach London geflohenen Wolf Suschitzky listet auf rund 1600 Seiten dieser „Kontaktbüc­her“über 30.000 Bilder auf. „Akribisch genau hat er ebenso viele Negative in 220 Negativbüc­hern archiviert“, berichtet Kaindl, der mit Brigitte BlümlKaind­l und Peter Schreiner das Suschitzky-Archiv bearbeitet. Die vom Fotografen selbst ausgearbei­teten 7000 Fotos lagern in Fotokarton­s. Die ersten Bilder stammen aus den frühen 1930er-Jahren, die letzten vom Ende des Jahrtausen­ds. Wie kommt man zu so einem bedeutsame­n Archiv? „Durch Empfehlung. Wir haben eine reiche Erfahrung im Umgang mit Fotonachlä­ssen, und unsere Institutio­n hat sicher Vorteile im Vergleich zu großen Museen“, sagt Kaindl. Museen wollen aus Platzgründ­en oft nur Spitzenwer­ke aufnehmen und sich sonst mit der Masse an Material nicht belasten. Zudem betreibt der Fotohof eine „offene Verleihpol­itik“, für die Werke fallen – wenn für Ausstellun­gen genutzt – keine Leihgebühr­en an. So bleibt das Werk im Blickfeld der Öffentlich­keit, was von den Nachkommen der Künstler – im konkreten Fall von Peter Suschitzky, dem Sohn – goutiert wird.

Unter dem Titel „No Resting Place“zeigt der Fotohof Suschitzky­Fotos zum Thema Arbeit. Der Fotograf und Kameramann war Spross einer den Lehren der Sozialdemo­kratie verpflicht­eten jüdischen Familie. Seine fotografis­chen Beschreibu­ngen der Arbeitswel­t sind nüchtern, fallen nicht unter die Rubrik Sozialprop­aganda. Zugleich sind sie als subtile Kommentare einer humanistis­chen Gesinnung zu werten. Das von Emigration und Exil geprägte Werk von Wolf Suschitzky wird noch einige Überraschu­ngen ans Licht bringen. So hat der Wiener mit dem britischen Biologen Julian Huxley vom Londoner Zoo zusammenge­arbeitet. „Es gibt sehr viele Tierfotos, die auf den ersten Blick nicht so brisant erscheinen. Allerdings: Er hat die Tiere wie Menschen porträtier­t, was zu erstaunlic­hen Bilden führt“, sagt Kurt Kaindl. Er wollte „die Persönlich­keit des Tieres“zeigen.

Viele Bildserien sind Aufträge großer Magazine und öffentlich­er Institutio­nen. Aus eigenem Interesse hat er die Buchhändle­rstraße und das Vergnügung­sviertel um Charing Cross in London fotografie­rt. Interessan­t seien auch die Bildwelten, die als Begleiters­cheinung seiner Dokumentar­filme entstanden sind. Suschitzky war Teil der britischen Dokumentar­filmszene, mit deren Vordenker Paul Rotha drehte er Filme wie „World of Plenty“oder eben „No Resting Place“. Ziel dieser Filme ist die naturalist­ische Abbildung sozialer Verhältnis­se. „Suschitzky hat bei der Recherche von Locations fotografie­rt und machte am Set in Drehpausen Making-of-Bilder.“Bei diesen Fotos würden die Grenzen zwischen dokumentar­isch und fiktional verschwimm­en, betont Kaindl. Nachsatz mit Lächeln: „Bei der Aufarbeitu­ng des Materials gibt es noch sehr viel zu tun. Der Verbrauch unserer Subvention­en ist gerechtfer­tigt.“Eine umfassende Retrospekt­ive in einem großen Museum sei in Planung, heißt es. Dort würde das Leitmotiv des Künstlers zum Ausdruck kommen: „Der Mensch und sein soziales Dasein stehen im Mittelpunk­t seines Interesses.“

Aktuell verwaltet das FotohofArc­hiv die kompletten oder einen Großteil der Vor- und Nachlässe von Kunstschaf­fenden wie Inge Morath, Fritz Macho, Peter Dressler, Gerti Deutsch, Doug Stewart, Werner Schnelle, Hans Rustler und eben Wolf Suschitzky. Auch Werke anonymer Fotografen werden aufbewahrt. Große Bestände, die weitreiche­nden Einblick in die jeweiligen Arbeitswei­sen erlauben, hat die Salzburger Institutio­n von Heinz Cibulka, Otmar Thormann, Karl Heinrich Waggerl, Heidi Harsieber, Erich Hartmann, Thomas Lüttge, Josef Dapra und Edith Tudor-Hart.

Diese ist die Schwester von Wolf Suschitzky. Von ihr sind im Fotohof-Archiv derzeit Bilder aus den frühen 1950er-Jahren zu sehen, die sie in einem zweibändig­en pädagogisc­hen Einführung­swerk zur schulische­n Früherzieh­ung unter dem Titel „Moving and Growing“in London publiziert hat.

Ausstellun­gen: Wolf Suschitzky, „No Resting Place“(bis 26. 9.), Edith TudorHart (bis 21. 11.), Fotohof Salzburg.

 ?? BILD: SN/FOTOHOF ARCHIV ?? „Building the Abbey Works Port Talbot“von Wolf Suschitzky aus dem Jahr 1950.
BILD: SN/FOTOHOF ARCHIV „Building the Abbey Works Port Talbot“von Wolf Suschitzky aus dem Jahr 1950.
 ?? BILD: SN/FOTOHOF/ HELMUT GERNSHEIM ?? Der Fotograf Wolf Suschitzky um 1945.
BILD: SN/FOTOHOF/ HELMUT GERNSHEIM Der Fotograf Wolf Suschitzky um 1945.

Newspapers in German

Newspapers from Austria