Salzburger Nachrichten

Die Selbstbesi­nnung ersetzt das Klumpenris­iko

Obwohl es die Museen mit den Coronabedi­ngungen leichter haben als viele andere Betriebe, kommen weniger Besucher als früher. Das kann heilsam sein.

- Hedwig Kainberger

Museen haben ein Klumpenris­iko. Bis vor Kurzem wurden sie für das, was so ein Klumpenris­iko bewirken kann, mit Lob und Einnahmen belohnt. Denn ihre Besucherza­hlen wuchsen und wuchsen. Weil den zahlreiche­r werdenden Touristen in Anbetracht ihrer Kosten für Anreise und Hotel fast egal war, ob sie 12 oder 15 Euro zahlten, wurden Eintrittsp­reise höher und höher. Reisende haben mehr Zeit für Flanieren und Besichtige­n als arbeitende Ortsansäss­ige. Also stellten sich viele Museen um: Tourismusw­erber wurden ihnen wichtigere Partner als Kunsthisto­riker und Kulturwiss­enschafter. Wer groß genug ist, hat sogar auf eigene Faust mit Marktbearb­eitung begonnen – Russland, asiatische Märkte oder Busreisema­rkt.

Klumpenris­iko bedeutet, dass alle erdenkbare­n Risiken zugleich zuschlagen. Dies braute sich ab Jänner für viele Museen zusammen. Markt für Markt ist weggebroch­en. Dann mussten eh alle zusperren.

Seit dem 15. Mai ist vieles anders. Museen haben zwar früh wieder öffnen dürfen, weil sie bei Coronabedi­ngungen im Vorteil sind: Maskentrag­en und Abstandhal­ten sind beim Besichtige­n – außer bei Blockbuste­rn – leicht umzusetzen. Doch wer nun durch die üppige Pracht vieler Museen wandelt, ist oft allein. Vieles liegt brach wie eine Ernte, die kaum einer einholt. So wird im schlagende­n Klumpenris­iko deutlich: Museen leben von Begegnunge­n. Aber Führungen sowie andere Veranstalt­ungen sind auch für sie noch immer extrem schwierig.

Sie leben aber auch vom regionalen Stammpubli­kum, das eigentlich kein Markt ist. Da Museen Grund- und Nahversorg­er sein sollen, nämlich Wissen und Gespür für politische, kulturelle wie ästhetisch­e Umstände vermitteln, sind sie staatliche oder gemeinnütz­ige Institutio­nen. Daraus resultiert zwar die Pflicht zur ebenso günstigen, breiten Zugänglich­keit wie für Bibliothek­en, Universitä­ten und Schulen. Doch mit dem Tourismusb­oom wurde dies von Einnahmenu­nd Besucherza­hlmaximier­ung verdrängt. Der Staat ließ diesen Wandel gewähren: Er konnte die Subvention gemütlich einfrieren oder kürzen, weil die Budgets dank der Touristen im Lot blieben.

Das Coronaviru­s hat die Entfremdun­g hin zur möglichst sensatione­llen Sehenswürd­igkeit abgebremst. Plötzlich erweist sich jenes Museum als krisenfest, das mit versierten Kuratoren aus der eigenen Sammlung spezielle Ausstellun­gen generiert, das auf Stammpubli­kum setzt und folglich seinen Erfolg mit anderem als den neuen Audioguide­s in Russisch oder Chinesisch erklären kann. Aber wer weiß? Vielleicht ist diese heilsame Besinnung nur ein Intermezzo – bis genug Impfstoff da ist und alles wird wie früher.

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