Antisemitismus, ganz jugendfrisch
Vom Grazer Synagogenbeschmierer bis zur jungen Strache-Anhängerin, die Rothschild „weg“haben will, zieht sich eine Spur des alten und neuen Ungeists.
Zu guter Letzt setzte noch die Grazer Polizei eine zynische Pointe. Sie erstattete Anzeige gegen den grünen Bezirksvorsteher des Stadtteils Gries, Tristan Ammerer, weil dieser vor der Grazer Synagoge eine Mahnwache organisiert hatte. Verstoß gegen das Versammlungsgesetz! Die Synagoge war zuvor mit antisemitischen Sprüchen beschmiert, der Präsident der jüdischen Gemeinde Graz mit einem Baseballschläger attackiert worden. Mittlerweile ist ein Verdächtiger – ein junger Syrer – in Haft. Man sollte meinen, eine Mahnwache vor einer Synagoge, die die Polizei nicht bewachen konnte oder wollte, sei eine gute Sache. Die Grazer Polizei sieht das anders.
Hoffen wir, dass es sich bei der Anzeige gegen den Grazer Aktivisten bloß um behördliche Gschaftlhuberei handelt. Und dass nicht klandestine antisemitische Beweggründe den Ausschlag für die entbehrliche Amtshandlung vor der Synagoge gaben. Doch ganz abgesehen davon ist angesichts der Schmierereien und Attacken von Graz wieder einmal die bittere Wahrheit zu konstatieren, dass wir in Österreich mit einem neuen, zugewanderten Antisemitismus konfrontiert sind. Was umso bedenklicher ist, als wir genug Probleme haben mit dem alten, eingesessenen Antisemitismus. Der mitunter gar nicht alt wirkt, sondern recht jugendfrisch daherkommt. Wie zuletzt auf einem Video sicht- und hörbar wurde, auf dem eine junge Wiener Gemeinderatskandidatin der
Liste Strache ebenso munter wie ungeniert antisemitische Parolen skandiert: „Soros muss weg! – Rothschild muss weg!“Sie würde diese Personen auch kritisieren, wenn es keine Juden wären, beteuerte die junge Dame hinterher mit Unschuldsmiene. Ihre Gesinnungsfreunde wissen dennoch, wie’s gemeint ist: Der Jud’ ist schuld – egal, woran. Eine Meinung, mit der die Strache-Kandidatin in diversen rechtsextremen Kreisen und Kellern, wo manch fragwürdiges Liederbuch aufliegt, quer durch Österreich auf viel Gegenliebe stoßen dürfte.
Und nun also der Schauplatz Graz, eine antisemitische Gewalttat mit offenkundig arabisch-islamistischem Hintergrund. Eine Gewalttat, die nicht vom Himmel fiel. Laut einer Studie, die der Islamforscher Ednan Aslan 2018 veröffentlicht hat, gaben 43,3 Prozent der im Zuge der großen Flüchtlingswelle nach Graz Geflüchteten an, dass ihrer Ansicht nach Juden an ihrer Verfolgung selbst schuld seien. 44,2 Prozent empfanden die jüdische Religion als „schädlich für die Welt“. Klassische antisemitische Klischees also, die auch in einer großen Antisemitismusstudie auftauchten, die von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka in Auftrag gegeben wurde. Dieser Studie zufolge stimmten der Aussage „Wenn es den Staat Israel nicht mehr gibt, dann herrscht Frieden im Nahen Osten“70 Prozent der arabischsprachigen Menschen zu. Bei den türkischsprachigen Befragten war es knapp die Hälfte. Und wieder kann der Bogen geschlagen werden vom neu eingewanderten zum alteingesessenen Antisemitismus. Die Sobotka-Studie weist für zehn Prozent der Befragten „manifeste“antisemitische Einstellungen aus. Laut Antisemitismusbericht der Israelitischen Kultusgemeinde ist zwischen 2017 und 2019 die Zahl der registrierten antisemitischen Vorfälle um 9,5 Prozent gestiegen. Zugewanderte und eingesessene Unverbesserliche treffen sich also in ihrem Hass auf die Juden vulgo den „Staat Israel“.
Nun mag Israel tatsächlich nicht die lupenreinste Demokratie sein, die sich auf diesem Erdenrund finden lässt. Doch im Vergleich zu seinen sämtlichen Nachbarstaaten ist Israel eine Vorzeigedemokratie. Und dennoch gibt es ganze Organisationen, die ihre gesamte Existenzberechtigung daraus beziehen, Israel zu kritisieren, während die blutigen Despoten von Nordkorea bis Saudi-Arabien weitgehend ungerügt davonkommen. Die Bewegung „Boycott, Divestment and Sanctions“beispielsweise verfolgt das erklärte Ziel, Israel politisch, wirtschaftlich und kulturell zu isolieren, sprich: zu ruinieren. Aktivisten dieser Bewegung schrecken nicht davor zurück, Holocaustüberlebende mit Rufen wie „Kindermörder“niederzuschreien, was in diesen Kreisen als legitime Kritik an der israelischen Palästinapolitik gilt. Dass Israel, und nur Israel, ständig für seine vermeintlichen oder tatsächlichen Verfehlungen gemaßregelt wird, während weit schlimmere, von anderen Staaten begangene Sünden keinen einzigen Aktivisten hinter dem Ofen hervorlocken, ist nichts weiter als eine verdeckte Form des Antisemitismus.
Österreichs Regierung macht bei diesem Treiben löblicherweise nicht mit, pflegt gute Beziehungen zu Israel und setzt Akzente gegen den Antisemitismus. Dass derzeit Denkmäler des antisemitischen Bürgermeisters Karl Lueger von Aktivisten beschmiert werden, während nach dem antisemitischen Innenminister Oskar Helmer immer noch in allen Ehren ein Wiener Gemeindebau benannt ist, weist auf seltsame Zusammenhänge zwischen Politik und Moral hin. Antisemitismus ist offenbar nicht ganz so schlimm, wenn er von links kommt. Und Helmer war nun einmal ein Roter.