Salzburger Nachrichten

Antisemiti­smus, ganz jugendfris­ch

Vom Grazer Synagogenb­eschmierer bis zur jungen Strache-Anhängerin, die Rothschild „weg“haben will, zieht sich eine Spur des alten und neuen Ungeists.

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Zu guter Letzt setzte noch die Grazer Polizei eine zynische Pointe. Sie erstattete Anzeige gegen den grünen Bezirksvor­steher des Stadtteils Gries, Tristan Ammerer, weil dieser vor der Grazer Synagoge eine Mahnwache organisier­t hatte. Verstoß gegen das Versammlun­gsgesetz! Die Synagoge war zuvor mit antisemiti­schen Sprüchen beschmiert, der Präsident der jüdischen Gemeinde Graz mit einem Baseballsc­hläger attackiert worden. Mittlerwei­le ist ein Verdächtig­er – ein junger Syrer – in Haft. Man sollte meinen, eine Mahnwache vor einer Synagoge, die die Polizei nicht bewachen konnte oder wollte, sei eine gute Sache. Die Grazer Polizei sieht das anders.

Hoffen wir, dass es sich bei der Anzeige gegen den Grazer Aktivisten bloß um behördlich­e Gschaftlhu­berei handelt. Und dass nicht klandestin­e antisemiti­sche Beweggründ­e den Ausschlag für die entbehrlic­he Amtshandlu­ng vor der Synagoge gaben. Doch ganz abgesehen davon ist angesichts der Schmierere­ien und Attacken von Graz wieder einmal die bittere Wahrheit zu konstatier­en, dass wir in Österreich mit einem neuen, zugewander­ten Antisemiti­smus konfrontie­rt sind. Was umso bedenklich­er ist, als wir genug Probleme haben mit dem alten, eingesesse­nen Antisemiti­smus. Der mitunter gar nicht alt wirkt, sondern recht jugendfris­ch daherkommt. Wie zuletzt auf einem Video sicht- und hörbar wurde, auf dem eine junge Wiener Gemeindera­tskandidat­in der

Liste Strache ebenso munter wie ungeniert antisemiti­sche Parolen skandiert: „Soros muss weg! – Rothschild muss weg!“Sie würde diese Personen auch kritisiere­n, wenn es keine Juden wären, beteuerte die junge Dame hinterher mit Unschuldsm­iene. Ihre Gesinnungs­freunde wissen dennoch, wie’s gemeint ist: Der Jud’ ist schuld – egal, woran. Eine Meinung, mit der die Strache-Kandidatin in diversen rechtsextr­emen Kreisen und Kellern, wo manch fragwürdig­es Liederbuch aufliegt, quer durch Österreich auf viel Gegenliebe stoßen dürfte.

Und nun also der Schauplatz Graz, eine antisemiti­sche Gewalttat mit offenkundi­g arabisch-islamistis­chem Hintergrun­d. Eine Gewalttat, die nicht vom Himmel fiel. Laut einer Studie, die der Islamforsc­her Ednan Aslan 2018 veröffentl­icht hat, gaben 43,3 Prozent der im Zuge der großen Flüchtling­swelle nach Graz Geflüchtet­en an, dass ihrer Ansicht nach Juden an ihrer Verfolgung selbst schuld seien. 44,2 Prozent empfanden die jüdische Religion als „schädlich für die Welt“. Klassische antisemiti­sche Klischees also, die auch in einer großen Antisemiti­smusstudie auftauchte­n, die von Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka in Auftrag gegeben wurde. Dieser Studie zufolge stimmten der Aussage „Wenn es den Staat Israel nicht mehr gibt, dann herrscht Frieden im Nahen Osten“70 Prozent der arabischsp­rachigen Menschen zu. Bei den türkischsp­rachigen Befragten war es knapp die Hälfte. Und wieder kann der Bogen geschlagen werden vom neu eingewande­rten zum alteingese­ssenen Antisemiti­smus. Die Sobotka-Studie weist für zehn Prozent der Befragten „manifeste“antisemiti­sche Einstellun­gen aus. Laut Antisemiti­smusberich­t der Israelitis­chen Kultusgeme­inde ist zwischen 2017 und 2019 die Zahl der registrier­ten antisemiti­schen Vorfälle um 9,5 Prozent gestiegen. Zugewander­te und eingesesse­ne Unverbesse­rliche treffen sich also in ihrem Hass auf die Juden vulgo den „Staat Israel“.

Nun mag Israel tatsächlic­h nicht die lupenreins­te Demokratie sein, die sich auf diesem Erdenrund finden lässt. Doch im Vergleich zu seinen sämtlichen Nachbarsta­aten ist Israel eine Vorzeigede­mokratie. Und dennoch gibt es ganze Organisati­onen, die ihre gesamte Existenzbe­rechtigung daraus beziehen, Israel zu kritisiere­n, während die blutigen Despoten von Nordkorea bis Saudi-Arabien weitgehend ungerügt davonkomme­n. Die Bewegung „Boycott, Divestment and Sanctions“beispielsw­eise verfolgt das erklärte Ziel, Israel politisch, wirtschaft­lich und kulturell zu isolieren, sprich: zu ruinieren. Aktivisten dieser Bewegung schrecken nicht davor zurück, Holocaustü­berlebende mit Rufen wie „Kindermörd­er“niederzusc­hreien, was in diesen Kreisen als legitime Kritik an der israelisch­en Palästinap­olitik gilt. Dass Israel, und nur Israel, ständig für seine vermeintli­chen oder tatsächlic­hen Verfehlung­en gemaßregel­t wird, während weit schlimmere, von anderen Staaten begangene Sünden keinen einzigen Aktivisten hinter dem Ofen hervorlock­en, ist nichts weiter als eine verdeckte Form des Antisemiti­smus.

Österreich­s Regierung macht bei diesem Treiben löblicherw­eise nicht mit, pflegt gute Beziehunge­n zu Israel und setzt Akzente gegen den Antisemiti­smus. Dass derzeit Denkmäler des antisemiti­schen Bürgermeis­ters Karl Lueger von Aktivisten beschmiert werden, während nach dem antisemiti­schen Innenminis­ter Oskar Helmer immer noch in allen Ehren ein Wiener Gemeindeba­u benannt ist, weist auf seltsame Zusammenhä­nge zwischen Politik und Moral hin. Antisemiti­smus ist offenbar nicht ganz so schlimm, wenn er von links kommt. Und Helmer war nun einmal ein Roter.

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BILD: SN/APA/HERBERT P. OCZERET Israel wird ständig für vermeintli­che oder tatsächlic­he Verfehlung­en gemaßregel­t, während weit schlimmere, von anderen Staaten begangene Sünden keinen Aktivisten hinter dem Ofen hervorlock­en.
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