Das „süße Gift“schlägt sich in Mexikos Coronabilanz nieder
Nirgends auf der Welt wird so viel Limonade konsumiert wie im Bundesstaat Chiapas. Mehr als zwei Liter pro Kopf und Tag sollen es im Schnitt sein.
Wenn man sich folgende Zahlen einmal auf der Zunge zergehen lässt, dann erklärt sich ein Stück weit, warum gerade in Mexiko auch so viele relativ junge Menschen an einer Coronainfektion sterben. Im Land der Azteken trinken die Menschen 150 Liter Limonade pro Kopf und Jahr. Selbst im Mutterland des „süßen Gifts“, in den USA, sind es mit 100 Litern deutlich weniger. Und weltweit sind es gar im Schnitt nur 25 Liter pro Person und Jahr.
Ein mexikanischer Bundesstaat ragt dabei mit extrem schlechtem Beispiel heraus: Chiapas. Der Staat an der Südgrenze, der Mitte der 1990er-Jahre durch den Aufstand der Zapatisten Berühmtheit erlangte, hat den unglaublichen Pro-Kopf-Verbrauch von 821 Litern pro Kopf und Jahr. Das heißt, jeder Chiapaneco bechert jeden Tag im Schnitt zweieinviertel Liter an süßer Brause, wie der Nationale Wissenschaftsrat Conacyt jetzt veröffentlichte.
Da wundert es nicht, dass in Mexiko Übergewicht und Diabetes weitverbreitete Volkskrankheiten sind. Hinzu kommt noch Bluthochdruck. In Mexiko leiden schon Menschen um die 40 oft an einer oder mehrerer dieser Erkrankungen. Und all diese Zivilisationsleiden erhöhen die Sterblichkeit im Falle einer Infektion mit dem Coronavirus. Die Mehrheit der 61.000 mexikanischen Covid-19-Opfer litt dementsprechend auch an einer dieser Vorerkrankungen. Viele der Patienten wussten das dabei gar nicht.
„Mexiko ist das Land, in dem die meisten jungen Erwachsenen an Covid-19 sterben“, warnte der staatliche Pandemie-Beauftragte Hugo López-Gatell jüngst. Junkfood und Softdrinks seien in großem Maß Beschleuniger der Coronapandemie in seinem Land, behauptete der Mediziner. Dieses „Ernährungsmodell“dominiere in Mexiko in den vergangenen 30 Jahren, unterstreicht López-Gatell. „Unser Land braucht das in Flaschen abgefüllte Gift nicht.“
Angesichts dieses Panoramas wundert es nicht, dass Mediziner für den Rest des Jahres eine düstere Perspektive hinsichtlich der Entwicklung der Pandemie in Mexiko zeichnen. Derzeit verzeichnet das Land knapp 617.000 Coronainfektionen, über 66.000 Menschen sind bisher an Covid-19 gestorben. Nach Hochrechnungen der Universität Washington könnte sich bis Dezember die Zahl der Covid-19-Opfer in Mexiko verdoppeln. Ausgehend von zwischen 700 und 800 Toten täglich stünde das nordamerikanische Land Anfang Dezember bei rund 130.000 Toten, warnen Experten.
Das zweitgrößte Land Lateinamerikas zählt schon jetzt die drittmeisten Coronatoten weltweit und hat – zumindest offiziell – die siebtmeisten Infizierten. Da aber nur drei CovidTests pro Tag pro 100.000 Einwohner gemacht werden, ist eine enorme Dunkelziffer wahrscheinlich, wie die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt.