Die schwierigste Spielzeit beginnt
Orchester wie Solisten spielen zwei bis vier Mal hintereinander, um dasselbe Publikum wie bisher zu erreichen.
SALZBURG. Renaud Capuçon lässt seine Geige noch hängen. Er steht mit geschlossenen Augen vor dem spielenden Orchester. Mit jedem Atemzug saugt er Beethovens erste Orchestertakte auf, sammelt die Konzentration wie ein Sportler, der demnächst zum Schraubensalto anspringt oder ins serpentinenreiche Bergrennen startet. Kein Vergleich ist zu groß für das, was in der folgenden Dreiviertelstunde mit Beethovens Violinkonzert op. 61 den Großen Saal des Mozarteums erfüllt: Einmal behauptet sich Renaud Capuçon mit souveränem Solo gegen eine rundum brillierende Camerata Salzburg, dann wiederum, etwa in den Kadenzen, führt er die hohen Geigentöne zu hinreißend scharfer Süße, und immer wieder vereinen sich Solist und Orchester zu klangreicher, schmiegsamer, biegsamer Gemeinsamkeit.
Die auch bei alertem Lauschen kaum fassbare harmonische Fülle, die komplexen melodischen Figuren, der Wechsel von unpackbarer Rasanz zu expressivem Larghetto, bei dem Renaud Capuçon inniges Gespür in schlanke Töne legt, wohinein sich nur einmal eine kleine Dosis Schmalz verirrt – all das vereinen Orchester und Solist mit ununterbrochenem Spannungsbogen in scheinbar schlichter Kompaktheit.
Diese Herkulestat vollbrachten Renaud Capuçon und die von Giovanni
Guzzo an der Ersten Geige geführte Camerata Salzburg, die das Violinkonzert um Beethovens 1. Symphonie ergänzte, am vorigen Freitag zwei Mal und am Sonntag ebenfalls zwei Mal. Zuvor hatten sie drei Mal im Wiener Konzerthaus gespielt, um jenes Publikum zu erreichen, das bisher in einem Konzert hatte Platz nehmen dürfen.
Damit hob eine nicht normale Spielzeit an. „Die Musikbranche befindet sich in einer Ausnahmesituation“, erläutert Geschäftsführer Shane Woodborne. Die nun begonnene Saison sei in seinen 32 Jahren bei der Camerata Salzburg die schönste und bangste. Künstlerisch sei sie „die schönste, die wir je hatten“– mit Solisten wie Renaud Capuçon an diesem Wochenende, Hélène Grimaud (Anfang Oktober) oder Lisa Batiashvili (März 2021).
Trotzdem fürchtet er um Besucher, vor allem in Abonnementkonzerten, die er im SN-Gespräch als „das Rückgrat“bezeichnet.
Binnen Kurzem habe sich als neuer Standard durchgesetzt, dass Künstler zu einer Abendgage zwei Konzerte spielten, was trotz verkürzten Programms eine unglaubliche Anstrengung sei, erläutert Shane Woodborne. Noch müsse sich weisen, ob alle Abonnenten bei Früh- oder Spätterminen und veränderten Preiskategorien mitmachten. Er bittet um Treue: „Was uns bevorsteht, ist schön, es wäre schade, wenn es nicht besucht wäre.“
Auch Siegwald Bütow, Direktor des Mozarteumorchesters Salzburg, bekennt: In seinen zwanzig Jahren Orchesterarbeit habe er noch nie einen so komplizierten Saisonstart erlebt. Jedes Konzert habe neu geplant werden müssen: mit pausenlosem Programm und nach Abstandsregeln umbesetzt. Zudem sei wegen des verzögerten Umbaus des Foyers der Stiftung Mozarteum bis vor Kurzem ungewiss gewesen, ob und wann im Großen Saal gespielt werden könne. Jetzt sei klar, dass dies bis Jahresende möglich sei. Also beginnen die „Donnerstagskonzerte“wie üblich im Großen Saal.
Wenn nach der Mozartwoche 2021 das Mozarteum geschlossen sei, werde in der Großen Aula und im Orchesterhaus im Nonntal gespielt, schildert Siegwald Bütow. Allein das „Preisgefüge aus dem Stiftungssaal“in beide Ersatzspielstätten zu übertragen und dies den Abonnenten zu kommunizieren, „ist ziemlich kompliziert“. Insgesamt sei nur kurzfristiges Planen möglich, „wir setzen einen Schritt nach dem anderen“. Die nächsten: das „Donnerstagskonzert“am 10. September, die Premiere von „Die Blume von Hawaii“im Landestheater sowie das auf drei Termine von 23. bis 25. September aufgefächerte Konzert mit Dirigent François Leleux für die Kulturvereinigung.
Die Japan-Tour ist abgesagt. Außer einem Gastkonzert in Wels spielt das Mozarteumorchester bis auf Weiteres nur in Salzburg. Für 2022/23 allerdings laufe die Planung wie gewohnt an, es gebe Anfragen für eine Deutschland-Tournee, ein Mozart-Festival in Würzburg sowie aus Asien, sagt Bütow. „Man fängt an zu planen, ohne zu wissen, wie es aussehen wird.“
Trotz Komplikationen und ausgedünnter Sitzpläne samt Rückund Umabwicklung des Kartenverkaufs legt der Konzertbetrieb überall wieder los. Das Linzer Brucknerfest hält sogar am 13. September an seinem Eröffnungsakt mit Waris Dirie als Festrednerin fest. Die Philharmonie Reichenhall spreizt ihren symphonischen Saisonstart mit Werken Franz Schuberts und Ludwig van Beethovens am 25. und 26. September gleich auf vier Termine.
„Die Musikbranche befindet sich in einer Ausnahmesituation.“