Wenn sich Berge und Täler näher kommen
Mit Qigong lassen sich die Höhen und Tiefen des Lebens leichter meistern. Zwei Lehrer erzählen, wie man zu sich selbst findet.
Immer schneller, weiter, besser: Der Alltag vieler Menschen ist von Pflichten und Strukturen geprägt. Doch langsam, aber sicher ändere sich das, meint Maria Pichler, Qigong-Lehrerin aus Altenmarkt: „Den Menschen wird ihre eigene Gesundheit immer wichtiger.“Ihr Lehrerkollege Gerhard Stock aus Bischofshofen sieht das ähnlich: „Die Leute fühlen teilweise, dass ihnen der ständige Leistungsdruck nicht guttut. Sie wollen vom Müssen ins Sein kommen. Qigong kann das ermöglichen.“
Qigong ist eine uralte chinesische Bewegungsform und bedeutet übersetzt so viel wie „Arbeit an der Lebensenergie“. Die Methode regelt und harmonisiert den Fluss der Energie (Qi) durch den Körper. Damit ist Qigong ein wesentlicher Bestandteil der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM).
In China hat sich Qigong über die Jahrtausende hinweg zur Volksbewegung entwickelt. Wer morgens durch einen Park in einer chinesischen Großstadt spaziert, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit QigongGruppen antreffen. Die langsamen und achtsamen Bewegungen wirken beruhigend und sollen aus Sicht der TCM die Selbstheilungskräfte im Körper aktivieren.
Das Schöne am Qigong sei, dass es jeder ganz einfach machen könne, erklärt Maria Pichler. Man müsse nicht sonderlich beweglich sein und die Übungen seien schnell gelernt: „Meine älteste Kursteilnehmerin ist 84 Jahre alt. Qigong holt jeden dort ab, wo er ist, und es gibt kein
Vergleichen miteinander.“
Wer noch nie Qigong gemacht hat, sollte sich anfangs einen Lehrer oder eine Lehrerin suchen, empfiehlt Pichler: „Qigong wird am schönsten von Herz zu Herz vermittelt.“
Für Pichler ist Qigong wie Heimkommen, denn man lernt dabei, seine Aufmerksamkeit nach innen zu richten – in den eigenen Körper: „Ich schenke mir dadurch Zeit für mich selbst, mache aktiv etwas für meine Gesundheit und meinen Energielevel. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt krank gewesen bin.“
Zum Qigong gefunden hat Maria Pichler durch ihre Sportkarriere. Für die ehemalige Profi-Snowboarderin war Qigong ein Ausgleich zum Leistungsdruck: „Egal was im Weltcup passiert ist, beim Qigong war ich weg vom ganzen Trubel und nur bei mir selbst. Das war sehr wichtig für mich.“Heute arbeitet Pichler als Produktmanagerin bei Atomic und leitet nebenbei eine Qigong-Übungsgruppe in Flachau.
Der Pongau ist gewissermaßen die Wiege der Qigong-Bewegung in Österreich. Dort lebt auch Gerhard Wenzel, der Qigong von China in den Westen gebracht hat. Bei ihm haben Maria Pichler und Gerhard Stock die vierjährige Ausbildung zum Qigong-Lehrer absolviert. Auch Gerhard Stock fand im Qigong einen Ausgleich zu seinem Job. Er ist in einer Tischlerei für die Planung und Projektabwicklung zuständig. „Es gab eine Zeit, in der ich sehr viel gearbeitet habe und fast auf mich selbst vergessen hätte. Qigong hat mir geholfen, wieder zu mir zu finden.“
Seitdem ist Qigong für ihn wie ein Werkzeug, auf das er in schwierigen und herausfordernden Phasen zurückgreifen kann. Er profitiere nicht nur im Privatleben, sondern auch im Berufsalltag: „Ich bin dank Qigong in der Arbeit viel fokussierter und mit mehr Freude dabei“, sagt Stock. Maria Pichler geht es ähnlich: „Ich bin viel feinfühliger geworden und kann Situationen besser einschätzen. Es fördert meine Kreativität und lässt mich offen sein für Neues.“
Letztendlich sei Qigong aber ein lebenslanger Weg, an dem man ständig wachsen könne, erzählt Pichler und denkt an vergangene Jahre zurück: „Früher waren die Berge in meinem Leben sehr steil und die Täler sehr tief. Durch jahrelanges Qigong-Üben sind sich die Berge und Täler näher gekommen. Mein Leben ist viel gemütlicher, ausgeglichener und harmonischer.“