Eine Gasleitung wird zum Politikum
Zuerst die Drohungen von Präsident Trump, jetzt der Fall Nawalny: Die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 sorgt für politische Verwerfungen. Und der Ferienort Sassnitz im hohen Norden Rügens ist zum Spielball der Weltmächte geworden.
SASSNITZ. „Das ist ein Brief, den werde ich nicht beantworten. So viel Aufmerksamkeit ist sowohl Herrn Trump als auch diesen drei Senatoren nicht zuzubilligen.“Die Miene von Frank Kracht verdüstert sich. Vor ihm auf dem Schreibtisch liegt ein Brief, Absender Washington DC, USA. Unterzeichnet ist das Schreiben von den drei republikanischen Senatoren Ted Cruz, Tom Cotton und Ron Johnson. „Wenn Sie weiterhin Waren, Dienstleistungen und Unterstützung für das NordStream-2-Projekt bereitstellen“, steht in der unfreundlichen Botschaft, „würden Sie das zukünftige finanzielle Überleben Ihres Unternehmens zerstören.“
Kracht, 53, ist Oberbürgermeister von Sassnitz, einer Kleinstadt im hohen Norden der Insel Rügen, ein pittoreskes Ferienidyll direkt an der Ostsee. Sein Büro im Rathaus ist stattlich, aber Weltpolitik wurde hier bisher noch nie gemacht. „Dieser Brief ist der Gipfel der Unverfrorenheit“, schimpft der ehemalige Offizier der DDR-Armee. In seinen Worten schwingt Empörung mit.
Seit Monaten versuchen die USA, das Projekt für eine Ostsee-Pipeline zwischen Russland und Deutschland zu Fall zu bringen. Über Nord Stream 2 sollten ab Anfang 2021 jährlich 55 Milliarden Kubikmeter Gas von Russland via Deutschland nach Europa geliefert werden. Etwa elf Milliarden Euro wurden in das Projekt des staatlich-russischen Energiegiganten Gazprom bereits investiert, 2300 Kilometer Rohre sind auf dem tiefen Meeresboden verlegt, es fehlen nur noch 160 Kilometer.
Doch das Projekt ist auf den letzten Metern zum Erliegen gekommen. Washington will verhindern, dass sich Europa in Abhängigkeit von russischer Energie begibt. Den Amerikanern geht es auch darum, einen Wettbewerber auszuschalten, um das eigene Flüssiggas in Europa zu verkaufen. Um die Interessen durchzusetzen, greifen die USA zu drastischen Mitteln und drohen jedem, der an Nord Stream 2 mitarbeitet, mit ökonomischer Zerschlagung. Die Schweizer Firma Allseas
ist bereits eingeknickt und hat ihre zwei Verlegeschiffe aus der Ostsee abgezogen. Jetzt haben es die USA auf die Fährhafen Sassnitz GmbH abgesehen, die zu 90 Prozent der Stadt und zu 10 Prozent dem Land Mecklenburg-Vorpommern gehört. Vom Hafen Mukran Port bei Sassnitz wurde bislang die Logistik für Nord Stream 2 bereitgestellt, derzeit warten die restlichen Stahlrohre am Ufer darauf, auf dem Meeresgrund verlegt zu werden. Sollte Sassnitz der Nord Stream 2
AG mit Sitz in Zug in der Schweiz, die zu 51 Prozent der russischen Gazprom gehört, weiter seine Infrastruktur zur Verfügung stellen, wollen die USA Guthaben der Verantwortlichen in Sassnitz einfrieren und Leute wie Oberbürgermeister Kracht mit Einreisesperren belegen.
Aber die Weltpolitik spielt Kracht nicht gerade in die Karten. Nun gerät das für Sassnitz wirtschaftlich so interessante Pipeline-Projekt auch von anderer Seite unter Druck. Der Giftanschlag auf den Kremlkritiker Alexej Nawalny deutet auf eine Verstrickung höchster staatlicher russischer Stellen in den Mordanschlag hin. Einflussreiche deutsche Politiker fordern die Bundesregierung auf, dass sich Deutschland als Reaktion auf den versuchten Mord aus Nord Stream 2 zurückzieht. Kanzlerin Angela Merkel hat sich bislang nicht zu der Forderung geäußert. Der renommierte Ökonom Hans-Werner Sinn warnt. „Wir steigen aus der Kohle aus, wir steigen aus der Kernkraft aus, gleichzeitig wollen wir Autos elektrisch fahren lassen. Wenn wir jetzt auch kein Gas mehr haben, sieht es zappenduster aus für Deutschland.“