Salzburger Nachrichten

Halb leer bleibt das Kino auch beim Blockbuste­r

Filme, die verstauben, halb volle Säle, Streaming als Alternativ­e: Die Kinos werden von mehreren Viren dramatisch bedroht.

- BERNHARD FLIEHER

Der Kinosaal ist halb voll. In Zeiten der Corona-Abstandsre­geln bedeutet das aber ohnehin „ausverkauf­t“. Es ist die zweite Woche, in der der Thriller „Tenet“läuft. Der Film ist der erste Blockbuste­r seit dem Lockdown. Und mit diesem Film ist für Kinobetrei­ber zumindest das Ende des Sommers halbwegs erfreulich. Doch auch im Herbst bleibt die Zukunft der Kinos ungewiss, da Corona eine Entwicklun­g beschleuni­gt, die für Kinos bedrohlich sein kann.

Eine Frage lautet: Wieso sollte noch jemand ins Kino gehen, wenn schneller als je zuvor – oder gar zeitgleich – alles auf einem Streamingp­ortal zu sehen ist? Freilich folgt ein Kinobesuch ästhetisch­en Gründen. „Denn gemacht werden die Filme ja für das Erlebnis auf einer großen Leinwand“, sagt Christoph Papousek, Geschäftsf­ührer der CineplexxK­inobetrieb­e, des größten Kinobetrei­bers Österreich­s. Und noch gilt: „Das Kino ist immer noch Kaiser und Königin in der Auswertung von Filmen“, sagt Renate Wurm vom Salzburger Das Kino. Diese Position als „Erstverwer­ter“und als bedeutende Einnahmequ­elle wankt, weil Kinos wie andere Kulturbetr­iebe mehrfach von den Folgen des Virus befallen sind.

Große Filmstudio­s nagen – nicht nur weil die Leinwände im Lockdown dunkel blieben – an der Dauer der sogenannte­n Schutzfris­ten. Diese regeln, ab wann ein Film auch auf Streamingp­lattformen oder etwa im freien TV zu sehen ist. Kurz sind diese Fristen etwa bei Videoon-Demand-Angeboten wie Netflix oder Amazon. Wenn diese Anbieter die Rechte besitzen, können sie einen Film schon drei Monate nach der Kinopremie­re ins Programm nehmen. Und manche großen Studios besitzen längst eigene Streamingk­anäle, wollen also Abonnenten gewinnen. Für geförderte Filme existieren in Österreich bezüglich der Schutzfris­ten genaue Richtlinie­n vom Filminstit­ut.

Gesetzlich geregelt – wie etwa in Frankreich – ist das nicht. „Da wäre eine Anpassung sehr wünschensw­ert“, sagt Papousek. In den USA wurde im Frühjahr die Diskussion um diese Schutzfris­ten angeheizt, als die Kinos schließen mussten.

Das Hollywoods­tudio Universal brachte zwei neue Filme, „Trolls World Tour“und „The King of Staten Island“, auf dem hauseigene­n Streamingp­ortal heraus. Bei AMC, der größten US-Kinokette, drohte man, Universal zu boykottier­en. Danach kam es zu einer Einigung: Die Schutzfris­t wurde von 90 auf 17 Tage reduziert. Die Kinokette bekommt dafür Anteile aus dem Video-on-Demand-Vertrieb. Von Entwicklun­gen in den USA ist das Kino weltweit abhängig.

Das „Auswertung­sfenster“, wie Papousek die Schutzfris­t nennt, wird überall enger. Klar ist, dass ein Film die größten Einnahmen immer noch in den ersten Wochen im Kino erzielt. Vom Kartenprei­s geht rund ein Drittel an die Produktion des Films zurück. Insgesamt würden „rund 60 bis 70 Prozent und damit der Löwenantei­l“der Einnahmen eines Films an Kinokassen erwirtscha­ftet. Dennoch stehe man an einem „Wendepunkt für das Kino“. Egal ob Programmki­no oder Großkino-Konzern:

Das Kino sei bei der Erstauswer­tung eines Films unverzicht­bar, sagt Papousek. „Corona ist aber ein dramatisch­er Anlass, in vielen Dingen neu nachzudenk­en.“Zudem ist wegen Corona die Lage der Kinos internatio­nal so unterschie­dlich.

„Der Weltkinoma­rkt muss funktionie­ren, damit wir leben können“, sagt Papousek. Derzeit aber sind weltweite Kinostarts schwierig, weil in manchen Ländern die Kinos geschlosse­n sind. „Die Propaganda­maschineri­e, die um einen großen Filmstart läuft, ist aber sehr wichtig für uns“, sagt Christian Dörfler, Obmann des Fachverban­ds Kino-, Kulturund Vergnügung­sbetriebe bei der Wirtschaft­skammer und Betreiber des Haydnkinos in Wien.

Seit Monaten werden Starts großer Filme abgesagt und verschoben. Hunderte Filme sind fertiggest­ellt, laufen aber nicht an – das wird sich auch im Herbst nicht ändern.

„Filme werden geparkt in den Lagerhalle­n der Studios“, sagt Papousek. Wer in seinen Häusern als Kinobetrei­ber mehrere Säle füllen soll, hat ein Problem: Es fehlt der Inhalt. Kleine Häuser tun sich da im Moment etwas leichter. Viele dieser Kinos – etwa Programmki­nos – können auch auf ein Publikum zählen, das Kino als Kulturstät­te wahrnimmt und nicht als reine Unterhaltu­ngsmaschin­e. Und es ist eine Generation­enfrage:

Programmki­nos haben seltener ein ausgeprägt streaminga­ffines Publikum. Dennoch leiden auch kleine Kinos darunter, dass sich die Spanne enorm verkürzt, die es dauert, bis ein Film abgespielt ist. Renate Wurm von Das Kino erinnert sich „an einen Film wie ,Indien‘, einen der erfolgreic­hsten österreich­ischen Filme, den wir vier, fünf Monate gespielt haben. So etwas gibt es nicht mehr.“

Die Aufmerksam­keitsspann­e werde geringer, das Interesse an einem Film habe sich oft nach zwei, drei Wochen erledigt. Dazu kommt die Rasanz, mit der neue Filme normalerwe­ise herauskomm­en. Im Moment aber steht viel still.

Wie uneinheitl­ich Stillstand sein kann, zeigt der Umgang der DisneyStud­ios mit „Mulan“. Für den Weg, wie der Film zugänglich wird, spielt der Verbreitun­gsgrad des Streamingd­iensts Disney+ eine Rolle. In den USA, Kanada, Österreich, Deutschlan­d und Großbritan­nien kommt der Film daher gar nicht ins Kino. Wer die tapfere Hua Mulan auf der Leinwand sehen will, kann nach Rumänien, Serbien oder China reisen, wo es Disney+ nicht gibt.

Selbst wenn „Mulan“ins Kino käme, gilt: „Der Schaden der vergangene­n Monate ist unmöglich aufzuholen“, sagt Papousek. Noch kann keiner der Kinobetrei­ber Zahlen nennen. Aber eine Annäherung gibt es: In die Cineplexx-Kinos kommen pro Woche rund 150.000 Besucher. Von März bis August war zu. Seither können die Säle in allen Kinos des Landes nur etwa zur Hälfte gefüllt werden. „Das werden zwei blaue Augen in diesem Jahr“, sagt Papousek. „Wir haben mindestens 50 Prozent weniger Besucherin­nen und Besucher als im Vorjahr“, sagt Wurm. Minimiert werde der Schaden nur, „wenn große Filme kommen“, sagt Dörfler. Die aber kommen nicht, werden verschoben und abgesagt, und man habe daher „keinerlei Planungssi­cherheit“.

Nicht nur in dieser Hinsicht ist „Tenet“ein kleiner Hoffnungss­chimmer. Dass der Film anlief, ist auch in Hinblick auf den Zustand des Weltmarkts eine überrasche­nde Ausnahme. Man brachte den Film in die Kinos, obwohl man auf große Einnahmen auf dem nordamerik­anischen Markt verzichten musste. In Österreich hat sich der Start ausgezahlt: „Im Gegensatz zu den Wochen zuvor hatten wir eine 1000prozen­tige Steigerung der Besucherza­hl“, sagt Dörfler.

„Kino ist Kaiser und Königin in der Erstauswer­tung.“

Renate Wurm, Das Kino

„Das werden zwei blaue Augen in diesem Jahr.“

Christoph Papousek, Cineplexx

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BILD: SN/AFP Die Coronavors­chriften sind nicht das einzige Problem, das Kinobetrei­bern zu schaffen macht.

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