Halb leer bleibt das Kino auch beim Blockbuster
Filme, die verstauben, halb volle Säle, Streaming als Alternative: Die Kinos werden von mehreren Viren dramatisch bedroht.
Der Kinosaal ist halb voll. In Zeiten der Corona-Abstandsregeln bedeutet das aber ohnehin „ausverkauft“. Es ist die zweite Woche, in der der Thriller „Tenet“läuft. Der Film ist der erste Blockbuster seit dem Lockdown. Und mit diesem Film ist für Kinobetreiber zumindest das Ende des Sommers halbwegs erfreulich. Doch auch im Herbst bleibt die Zukunft der Kinos ungewiss, da Corona eine Entwicklung beschleunigt, die für Kinos bedrohlich sein kann.
Eine Frage lautet: Wieso sollte noch jemand ins Kino gehen, wenn schneller als je zuvor – oder gar zeitgleich – alles auf einem Streamingportal zu sehen ist? Freilich folgt ein Kinobesuch ästhetischen Gründen. „Denn gemacht werden die Filme ja für das Erlebnis auf einer großen Leinwand“, sagt Christoph Papousek, Geschäftsführer der CineplexxKinobetriebe, des größten Kinobetreibers Österreichs. Und noch gilt: „Das Kino ist immer noch Kaiser und Königin in der Auswertung von Filmen“, sagt Renate Wurm vom Salzburger Das Kino. Diese Position als „Erstverwerter“und als bedeutende Einnahmequelle wankt, weil Kinos wie andere Kulturbetriebe mehrfach von den Folgen des Virus befallen sind.
Große Filmstudios nagen – nicht nur weil die Leinwände im Lockdown dunkel blieben – an der Dauer der sogenannten Schutzfristen. Diese regeln, ab wann ein Film auch auf Streamingplattformen oder etwa im freien TV zu sehen ist. Kurz sind diese Fristen etwa bei Videoon-Demand-Angeboten wie Netflix oder Amazon. Wenn diese Anbieter die Rechte besitzen, können sie einen Film schon drei Monate nach der Kinopremiere ins Programm nehmen. Und manche großen Studios besitzen längst eigene Streamingkanäle, wollen also Abonnenten gewinnen. Für geförderte Filme existieren in Österreich bezüglich der Schutzfristen genaue Richtlinien vom Filminstitut.
Gesetzlich geregelt – wie etwa in Frankreich – ist das nicht. „Da wäre eine Anpassung sehr wünschenswert“, sagt Papousek. In den USA wurde im Frühjahr die Diskussion um diese Schutzfristen angeheizt, als die Kinos schließen mussten.
Das Hollywoodstudio Universal brachte zwei neue Filme, „Trolls World Tour“und „The King of Staten Island“, auf dem hauseigenen Streamingportal heraus. Bei AMC, der größten US-Kinokette, drohte man, Universal zu boykottieren. Danach kam es zu einer Einigung: Die Schutzfrist wurde von 90 auf 17 Tage reduziert. Die Kinokette bekommt dafür Anteile aus dem Video-on-Demand-Vertrieb. Von Entwicklungen in den USA ist das Kino weltweit abhängig.
Das „Auswertungsfenster“, wie Papousek die Schutzfrist nennt, wird überall enger. Klar ist, dass ein Film die größten Einnahmen immer noch in den ersten Wochen im Kino erzielt. Vom Kartenpreis geht rund ein Drittel an die Produktion des Films zurück. Insgesamt würden „rund 60 bis 70 Prozent und damit der Löwenanteil“der Einnahmen eines Films an Kinokassen erwirtschaftet. Dennoch stehe man an einem „Wendepunkt für das Kino“. Egal ob Programmkino oder Großkino-Konzern:
Das Kino sei bei der Erstauswertung eines Films unverzichtbar, sagt Papousek. „Corona ist aber ein dramatischer Anlass, in vielen Dingen neu nachzudenken.“Zudem ist wegen Corona die Lage der Kinos international so unterschiedlich.
„Der Weltkinomarkt muss funktionieren, damit wir leben können“, sagt Papousek. Derzeit aber sind weltweite Kinostarts schwierig, weil in manchen Ländern die Kinos geschlossen sind. „Die Propagandamaschinerie, die um einen großen Filmstart läuft, ist aber sehr wichtig für uns“, sagt Christian Dörfler, Obmann des Fachverbands Kino-, Kulturund Vergnügungsbetriebe bei der Wirtschaftskammer und Betreiber des Haydnkinos in Wien.
Seit Monaten werden Starts großer Filme abgesagt und verschoben. Hunderte Filme sind fertiggestellt, laufen aber nicht an – das wird sich auch im Herbst nicht ändern.
„Filme werden geparkt in den Lagerhallen der Studios“, sagt Papousek. Wer in seinen Häusern als Kinobetreiber mehrere Säle füllen soll, hat ein Problem: Es fehlt der Inhalt. Kleine Häuser tun sich da im Moment etwas leichter. Viele dieser Kinos – etwa Programmkinos – können auch auf ein Publikum zählen, das Kino als Kulturstätte wahrnimmt und nicht als reine Unterhaltungsmaschine. Und es ist eine Generationenfrage:
Programmkinos haben seltener ein ausgeprägt streamingaffines Publikum. Dennoch leiden auch kleine Kinos darunter, dass sich die Spanne enorm verkürzt, die es dauert, bis ein Film abgespielt ist. Renate Wurm von Das Kino erinnert sich „an einen Film wie ,Indien‘, einen der erfolgreichsten österreichischen Filme, den wir vier, fünf Monate gespielt haben. So etwas gibt es nicht mehr.“
Die Aufmerksamkeitsspanne werde geringer, das Interesse an einem Film habe sich oft nach zwei, drei Wochen erledigt. Dazu kommt die Rasanz, mit der neue Filme normalerweise herauskommen. Im Moment aber steht viel still.
Wie uneinheitlich Stillstand sein kann, zeigt der Umgang der DisneyStudios mit „Mulan“. Für den Weg, wie der Film zugänglich wird, spielt der Verbreitungsgrad des Streamingdiensts Disney+ eine Rolle. In den USA, Kanada, Österreich, Deutschland und Großbritannien kommt der Film daher gar nicht ins Kino. Wer die tapfere Hua Mulan auf der Leinwand sehen will, kann nach Rumänien, Serbien oder China reisen, wo es Disney+ nicht gibt.
Selbst wenn „Mulan“ins Kino käme, gilt: „Der Schaden der vergangenen Monate ist unmöglich aufzuholen“, sagt Papousek. Noch kann keiner der Kinobetreiber Zahlen nennen. Aber eine Annäherung gibt es: In die Cineplexx-Kinos kommen pro Woche rund 150.000 Besucher. Von März bis August war zu. Seither können die Säle in allen Kinos des Landes nur etwa zur Hälfte gefüllt werden. „Das werden zwei blaue Augen in diesem Jahr“, sagt Papousek. „Wir haben mindestens 50 Prozent weniger Besucherinnen und Besucher als im Vorjahr“, sagt Wurm. Minimiert werde der Schaden nur, „wenn große Filme kommen“, sagt Dörfler. Die aber kommen nicht, werden verschoben und abgesagt, und man habe daher „keinerlei Planungssicherheit“.
Nicht nur in dieser Hinsicht ist „Tenet“ein kleiner Hoffnungsschimmer. Dass der Film anlief, ist auch in Hinblick auf den Zustand des Weltmarkts eine überraschende Ausnahme. Man brachte den Film in die Kinos, obwohl man auf große Einnahmen auf dem nordamerikanischen Markt verzichten musste. In Österreich hat sich der Start ausgezahlt: „Im Gegensatz zu den Wochen zuvor hatten wir eine 1000prozentige Steigerung der Besucherzahl“, sagt Dörfler.
„Kino ist Kaiser und Königin in der Erstauswertung.“
Renate Wurm, Das Kino
„Das werden zwei blaue Augen in diesem Jahr.“
Christoph Papousek, Cineplexx