Das Ungeheuer von Loch Brexit ist wieder da
Der britische Premier Boris Johnson steht unter Druck. Nun droht er der EU. Wenigstens beim Brexit will er ein starker Mann sein.
Die Gespräche über ein Handelsabkommen mit Brüssel sind festgefahren. Die Zeit drängt. Mit Jahresende endet die Übergangsfrist und Großbritannien verlässt die EU. Heute beginnt die nächste Runde der Verhandlungen. Was tun?
Für London ist die Sache klar: drohen. Premierminister Boris Johnson stellte ein Ultimatum. Sollte es bis 15. Oktober keine Einigung geben, werde das Königreich eben ohne Handelsvertrag aussteigen. Auch das wäre ein „gutes Ergebnis“. Der britische Chefverhandler David Frost betonte, man fürchte sich nicht. Außenminister Dominic Raab sprach von einem „Weckruf für die EU“. Man könnte meinen, die Europäische Union wolle aus Großbritannien austreten, nicht umgekehrt. Und dann ließ die Regierung Johnson noch durchsickern, man bereite ein Gesetz vor, um das von Boris Johnson höchstselbst vor rund einem Jahr unterschriebene Austrittsabkommen wieder auszuhebeln. Im Nachhinein rechtlich verbindliche Verträge zu versenken würde allerdings nicht einmal der allerletzten Bananenrepublik einfallen. Zu groß wäre der internationale Flurschaden.
Warum also die Drohkulisse? Johnson und sein Berater Dominic Cummings wollen haben, was schon Theresa May stets versprochen hatte: die Rosinen aus dem Kuchen. Also freien Zugang zum EU-Binnenmarkt, ohne sich an dessen Regeln halten zu müssen. So möchte Johnson die eigene Wirtschaft nach Lust und Laune subventionieren, auf dass deren Produkte letztlich die EU-Konkurrenz unterbieten könnten.
Völlig undenkbar, betont die EU immer wieder seit dem Brexit-Referendum 2016.
Doch Johnson ist nicht May. Das ist die Hauptbotschaft, adressiert vor allem an die wankende Anhängerschaft zu Hause. Wenn London nur hart genug auftrete, werde Brüssel irgendwann einknicken, so die Erzählung. Bislang zeigt man sich auf dem Kontinent eher wenig beeindruckt.
Boris Johnson steht selbst unter Druck. Seine Umfragewerte sind schlecht, das von seiner Regierung zu verantwortende Coronachaos hinterlässt Spuren. Die Wirtschaft kämpft mit einem gewaltigen Einbruch – und warnt vor einem Doppelschock im Fall eines harten Brexit, der Zölle und Tarife bringen würde, also deutliche Verteuerungen.
Der vom britischen Premier nun wieder aus der Tiefe gelockte harte Brexit ist die schlechteste Lösung für beide Seiten. Das steht fest. Er würde aber das kleine Großbritannien um vieles schmerzhafter treffen als die große EU. Auch das steht fest.