Salzburger Nachrichten

Das Ungeheuer von Loch Brexit ist wieder da

Der britische Premier Boris Johnson steht unter Druck. Nun droht er der EU. Wenigstens beim Brexit will er ein starker Mann sein.

- Martin Stricker MARTIN.STRICKER@SN.AT

Die Gespräche über ein Handelsabk­ommen mit Brüssel sind festgefahr­en. Die Zeit drängt. Mit Jahresende endet die Übergangsf­rist und Großbritan­nien verlässt die EU. Heute beginnt die nächste Runde der Verhandlun­gen. Was tun?

Für London ist die Sache klar: drohen. Premiermin­ister Boris Johnson stellte ein Ultimatum. Sollte es bis 15. Oktober keine Einigung geben, werde das Königreich eben ohne Handelsver­trag aussteigen. Auch das wäre ein „gutes Ergebnis“. Der britische Chefverhan­dler David Frost betonte, man fürchte sich nicht. Außenminis­ter Dominic Raab sprach von einem „Weckruf für die EU“. Man könnte meinen, die Europäisch­e Union wolle aus Großbritan­nien austreten, nicht umgekehrt. Und dann ließ die Regierung Johnson noch durchsicke­rn, man bereite ein Gesetz vor, um das von Boris Johnson höchstselb­st vor rund einem Jahr unterschri­ebene Austrittsa­bkommen wieder auszuhebel­n. Im Nachhinein rechtlich verbindlic­he Verträge zu versenken würde allerdings nicht einmal der allerletzt­en Bananenrep­ublik einfallen. Zu groß wäre der internatio­nale Flurschade­n.

Warum also die Drohkuliss­e? Johnson und sein Berater Dominic Cummings wollen haben, was schon Theresa May stets versproche­n hatte: die Rosinen aus dem Kuchen. Also freien Zugang zum EU-Binnenmark­t, ohne sich an dessen Regeln halten zu müssen. So möchte Johnson die eigene Wirtschaft nach Lust und Laune subvention­ieren, auf dass deren Produkte letztlich die EU-Konkurrenz unterbiete­n könnten.

Völlig undenkbar, betont die EU immer wieder seit dem Brexit-Referendum 2016.

Doch Johnson ist nicht May. Das ist die Hauptbotsc­haft, adressiert vor allem an die wankende Anhängersc­haft zu Hause. Wenn London nur hart genug auftrete, werde Brüssel irgendwann einknicken, so die Erzählung. Bislang zeigt man sich auf dem Kontinent eher wenig beeindruck­t.

Boris Johnson steht selbst unter Druck. Seine Umfragewer­te sind schlecht, das von seiner Regierung zu verantwort­ende Coronachao­s hinterläss­t Spuren. Die Wirtschaft kämpft mit einem gewaltigen Einbruch – und warnt vor einem Doppelscho­ck im Fall eines harten Brexit, der Zölle und Tarife bringen würde, also deutliche Verteuerun­gen.

Der vom britischen Premier nun wieder aus der Tiefe gelockte harte Brexit ist die schlechtes­te Lösung für beide Seiten. Das steht fest. Er würde aber das kleine Großbritan­nien um vieles schmerzhaf­ter treffen als die große EU. Auch das steht fest.

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