Der Brexit bleibt eine Baustelle
Fischerei und die Regeln für Staatshilfe sind die größten Hürden. Die Regierung von Boris Johnson baut vor den nächsten Verhandlungen eine Drohkulisse auf.
In Großbritannien gilt bis heute eine Aussage der ehemaligen Premierministerin Margaret Thatcher als legendär – „The lady’s not for turning“. Es ist eine Anspielung auf ein Theaterstück aus den 40erJahren und soll heißen: Thatcher ist keine Frau der Kehrtwenden und Kompromisse. Ähnlich wie die Galionsfigur der konservativen Tories will sich Premier Boris Johnson nun in den Brexit-Verhandlungen präsentieren. Dienstag beginnt die mittlerweile achte Runde, und zwar in London. EU-Chefunterhändler Michel Barnier wurde mit Drohungen, Warnungen und einem Ultimatum empfangen. Zunächst kündigte Londons Verhandlungsführer David Frost in einem Interview an, dass man – anders als die Vorgängerregierung – dieses Mal „nicht blinzeln“werde. Die EU müsse verstehen, „dass wir meinen, was wir sagen, und sie sollten unsere Position ernst nehmen“. Man werde Ende des Jahres das umsetzen, wofür die Briten 2016 gestimmt hätten – „komme, was wolle“, notfalls ohne Handelsabkommen. Es gebe nichts zu befürchten. Man sei „vorbereitet“, beteuerte auch Premier Johnson. Die Stimmen aus der Wirtschaft klingen anders. Dort herrscht die Sorge vor einem harten Brexit zu Jahresbeginn, der Zölle und Kontrollen nach sich ziehen würde. Johnson heizte die Spannungen weiter an, indem er eine Frist setzte. Entweder es gebe eine Einigung bis zum EU-Gipfel am 15. Oktober oder man gehe ohne Handelsabkommen. Das wäre auch „ein gutes Ergebnis“, meinte er.
Umweltminister George Eustice betonte, Johnsons Worte seien keineswegs Verhandlungstaktik. Laut „Financial Times“droht London außerdem damit, Teile des Austrittsabkommens, das den Brexit offiziell besiegelte, außer Kraft zu setzen. Konkret geht es um die Klauseln, die eine harte Grenze zwischen Nordirland, das zum Königreich gehört, und dem EU-Mitgliedsland Irland vermeiden sollen. In der Downing Street wies man entsprechende Berichte zurück. Doch sollte Johnson einen solchen Schritt anpeilen, könnte dies nicht nur den Vertrag gefährden, sondern auch neue Ängste vor einem Wiederaufflammen des Nordirland-Konflikts
Katrin Pribyl berichtet für die SN aus London
schüren. Hinzu kommt, so warnen EU-Diplomaten, dass eine Abkehr von vertraglichen Zusagen Großbritannien weltweit einen Vertrauensverlust einbringen und die Chancen auf Handelsdeals mit anderen Staaten schmälern würde. „Ich vertraue darauf, dass die britische Regierung das Austrittsabkommen umsetzt“, kommentierte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen auf Twitter. Die Einhaltung
des Vertrags sei „eine völkerrechtliche Verpflichtung und Voraussetzung für jede künftige Partnerschaft“. Barnier bezeichnete die Verhandlungen als schwierig, „weil die Briten das Beste aus beiden Welten wollen“.
London dagegen kritisiert, dass die EU an unhaltbaren Forderungen festhalte. Zu den größten Knackpunkten gehören die Fischerei sowie das Beharren Großbritanniens auf einer vollständigen Autonomie bei Staatshilfen. Während die EU darauf pocht, Staatshilfen gemeinsam zu regulieren, um dieselben Wettbewerbsbedingungen zu garantieren, will Johnson laut Insidern offenbar den britischen Technologiesektor massiv fördern, um die Abhängigkeit von den USA und China zu beenden. Dafür, so heißt es, würde er auch einen No-DealBrexit riskieren. Dass er dieses Ziel ebenso im Gleichklang mit der EU erreichen könnte, ist für den BrexitFan offenbar keine Alternative.