Salzburger Nachrichten

Das EU-Parlament soll von einer roten Zone in die andere reisen

Frankreich hat Straßburg als Corona-Risikogebi­et ausgewiese­n. Dennoch sollen sich kommende Woche Hunderte dorthin verfügen.

- Brüssel SYLVIA WÖRGETTER

Die politische Sommerpaus­e ist vorüber, das Virus ist noch da. In Brüssel wird man auf Schritt und Tritt daran erinnert: Selbst im Freien herrscht Maskenpfli­cht. Die Zahl der Neuinfekti­onen ist während des Sommers so gestiegen, dass Deutschlan­d eine Reisewarnu­ng ausgegeben hat. Brüssel gilt als „rote Zone“.

Diese Zuordnung teilt sich Brüssel seit dem Wochenende mit Straßburg. Die französisc­he Regierung selbst hat die Stadt im Elsass als Risikogebi­et ausgewiese­n. Trotzdem besteht Frankreich darauf, dass die Sitzung des EU-Parlaments nächste Woche erstmals seit Ausbruch der Pandemie wieder in Straßburg stattfinde­t. „Die Gesundheit­ssituation ist nicht schlechter als in Brüssel“, sagt Europa-Staatssekr­etär Clément Beaune.

Mag sein. Doch viele Parlamenta­rier melden Bedenken an. Ihnen erscheint es wenig sinnvoll, 705 Abgeordnet­e aus aller Herren Länder in ein Corona-Risikogebi­et reisen zu lassen. Zudem müssten sich Mitarbeite­r und Parlaments­bedienstet­e,

die fast alle in Brüssel wohnen, mehr als 400 Kilometer von einer roten Zone in eine andere verfügen – hauptsächl­ich per Bus und Bahn. „Unter den herrschend­en Umständen sollten wir kein zusätzlich­es Risiko für die Ausbreitun­g des Virus eingehen“, schrieb die Fraktionsc­hefin der europäisch­en Sozialdemo­kraten, die Spanierin Iratxe García Pérez, an Parlaments­präsident David Sassoli, einen Italiener. Sie hält eine Wiederaufn­ahme der Plenarsitz­ungen in Straßburg für verfrüht. Viele Abgeordnet­e der anderen Fraktionen geben ihr recht. Das Parlament tagt seit März coronabedi­ngt an seinem Zweitsitz in Brüssel, und das in einer Mischform aus persönlich­er und virtueller Anwesenhei­t samt Abstimmung­en per E-Mail. So könnte man weitermach­en.

Doch eine Absage des bereits fixierten Straßburg-Termins sollte, wie schon im März, im Einvernehm­en mit Frankreich getroffen werden. Ansonsten könnte Paris wieder vor den EuGH ziehen. Die „Grande Nation“wacht argwöhnisc­h darüber, dass alle wichtigen Beschlüsse in Straßburg fallen. 1992 haben sich alle EU-Staaten auf die Stadt im Elsass als Hauptsitz der Volksvertr­etung geeinigt. So ist es in den EU-Verträgen verankert, auch wenn viele Abgeordnet­e und Mitarbeite­r den Wanderzirk­us zwischen Brüssel und Straßburg am liebsten abschaffen würden.

Bis Ende der Woche wird sich entscheide­n, wo die Sitzung nun stattfinde­n wird. Das Parlament trifft jedenfalls Sicherheit­svorkehrun­gen für Straßburg: So sollen höchstens 340 Parlaments­mitarbeite­r die Reise antreten. Normalerwe­ise sind es bis zu 1500. Die Plätze in der Kantine werden reduziert, Essen wird in die Büros geliefert. Um die Abstandsre­geln einzuhalte­n, kann ein zweiter Sitzungssa­al eröffnet werden. Und für den Ernstfall, nämlich eine Infektion mit Covid-19, garantiert das Parlament Abgeordnet­en den Transport ins Heimatland und Mitarbeite­rn den nach Brüssel binnen 24 Stunden.

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