Echte Gefühle, frisch aus der Maschine
Musik kann in Menschen tiefe Emotionen wecken. Muss sie dafür von Menschen gemacht sein? Die Ars Electronica lässt es hören.
Unterschiedlicher könnten die beiden Komponisten kaum sein, deren Werke diese Woche beim Kunstund Technologie-Festival Ars Electronica gespielt werden. Der eine heißt Bach und ist in jedem Lexikon als einer der größten Komponisten der Musikgeschichte zu finden. Der andere heißt Ricercar und ist ein Newcomer, der aber ebenfalls das Zeug zum großen Meister hat.
Um die klassische Musik der vergangenen Epochen zu studieren, hat er bloß ein paar Tage Zeit gebraucht. Seither schafft er eigenständig Werke: Mit immer wieder verblüffender, manchmal sogar „schockierender“Könnerschaft, wie der Forscher Ali Nikrang vom Futurelab am Linzer Ars Electronica Center erzählt.
Ricercar ist der Name eines Computersystems, das Ali Nikrang entwickelt hat. Um der mit künstlicher Intelligenz (KI oder auch AI) ausgestatteten Maschine das Komponieren beizubringen, habe er sie zunächst „mit 25.000 Beispielen aus der Musikgeschichte gefüttert“, erzählt der Computerwissenschafter und Komponist, der in Linz die kreativen Beziehungen zwischen Mensch und Maschine erforscht.
Die Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz hat in den vergangenen Jahren in vielen Bereichen rasante Fortschritte gemacht. An einem Wendepunkt sei man da auch in der Musik angekommen, erläutert Nikrang. Mittlerweile könne ein künstlich intelligenter Computer „Musik komponieren, die so menschlich, so emotional und natürlich klingt, dass wir nicht mehr einfach unterscheiden können, ob sie von einem Menschen oder einer Maschine geschaffen wurde“.
Die Debatten, ob künstliche Intelligenz den Menschen bald auf einem weiteren Gebiet überrunden könnte, sind damit in eine nächste Runde gegangen. Auch die Entwicklung von Ricercar sei ein Beitrag zur Frage, welche Folgen es für Kunst und Gesellschaft habe, wenn Computer zu Künstlern würden, sagt Ali Nikrang.
Bei dem am Mittwoch beginnenden Ars Electronica Festival ist der Beziehung zwischen Musik und künstlicher Intelligenz mittlerweile ein eigener Schwerpunkt gewidmet: Als Festival im Festival findet „AI x Music“heuer zum zweiten Mal statt. Als Forscher wird Nikrang hier sein Komponiersystem Ricercar präsentieren. Als Pianist wird er (mit Cellistin Yishu Jiang und Geigerin Daniela Mülleder) Werke von Johann Sebastian Bach Stücken von Ricercar gegenüberstellen.
Schnittmengen zwischen den beiden gebe es durchaus: „Da ist einerseits die Maschine, die mit mathematischen Werkzeugen komponiert. Und da ist andererseits der Komponist Bach, der mit sehr strengen Strukturen oft fast mathematisch präzise Musik geschaffen hat.“
Der Name, den Nikrang seiner Entwicklung gegeben hat, verweist einerseits auf ein klassisches musikalisches Formmodell. Zugleich bedeutet das Wort „ricercare“aber auch „suchen“. Damit sei die Arbeitsweise des KI-Systems umschrieben: Aus den unzähligen Lehrbeispielen, mit denen es gefüttert worden ist, erkennt es Muster und findet mit diesem Wissen seine eigenen kompositorischen Wege.
Bei der Konzertperformance gehe es indes nicht darum, die feinen Unterschiede in der Bauart der Werke zu suchen. Es gehe „auch um das seltsame Gefühl, das sich einstellt, wenn eine Musik in uns emotionale Reaktionen hervorruft, obwohl sie von einem Computer berechnet ist: Fühlen wir uns dadurch emotional manipuliert? Oder lehnen wir sie ab?“
Überraschend oder gar schockierend sei die Arbeit mit Ricercar für ihn persönlich auch deshalb immer wieder, „weil es manchmal wirklich starke Ergebnisse liefert, obwohl es von unseren Emotionen ja eigentlich gar keine Ahnung hat“, sagt Ali Nikrang. „Es sind statistische Muster, aus denen das System lernt, wie es uns berühren kann.“Das allerdings mache sich gelegentlich auch umgekehrt bemerkbar: „Oft macht Ricercar so faszinierend gute Vorschläge, und dann wieder baut es Brüche in einen Stückverlauf ein, die ein Komponist nie machen würde. Da merkt man dann doch noch, dass eine Maschine am Werk ist.“
Das Zauberwort laute Zusammenarbeit von Mensch und Maschine. „Selbst wenn wir alle technischen Probleme lösen und einen Computer hätten, der ein perfektes Werk abliefert, bleibt die Frage: Welche Bedeutung hat diese Musik dann? Sie wäre technologisch interessant, aber um Kunst zu schaffen, braucht es auch eine Intention. Und die haben Maschinen nicht. Kunst entsteht im Zusammenspiel mit Menschen.“Die Technologie dafür sei mittlerweile vorhanden. „Die Frage wird also sein: Wie können wir sie nutzen, und wie können wir das Beste herausholen?“