Macht uns Alkohol zu Virenschleudern?
Zur Debatte um Alkoholverbot auf Adventmärkten: Was Alkohol in uns auslöst. Und warum Gutscheine die Lösung sein könnten.
SALZBURG. Nüchtern halten wir uns (halbwegs) diszipliniert an die Corona-Auflagen. Aber kaum sind Bier, Spritzer oder bald auch Glühwein und Jagertee im Spiel, ist es vorbei mit der Contenance. Wir umarmen, schreien, streiten. Und das Virus verbreitet sich wie wild.
Ein solches Szenario wird dieser Tage von gleich mehreren Wirtschaftsvertretern wie Politikern skizziert. Und deswegen denkt etwa Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer laut über ein Alkoholverbot bei Adventmärkten nach. Auch für Skiopenings und Fußballspiele gab es bereits vergleichbare Ideen. Aber ist die Angst berechtigt? Lässt uns Alkohol tatsächlich zu potenziellen Virenschleudern werden? Den Fragen liege eine relativ simple neurobiologische Erklärung zugrunde, schildert Hannes Bacher, ärztlicher Leiter der Suchthilfe-Klinik Salzburg. Bei Konsum von geringgradigem Alkohol werde das erregende System im Gehirn stärker gehemmt als das beruhigende. Die Folgen seien die „Kuscheleffekte des Alkohols“, wie ausgeprägte Gemütlichkeit, Melancholie oder auch Müdigkeit.
Bei exzessiverem Genuss und vor allem beim Konsum von Hochprozentigem werde der erregende Botenstoff Glutamat weniger gedämpft als der beruhigende. Mit höherem Promillegrad steige also in der Tat die Interaktionsbereitschaft bis hin zu Aggressionen. „Das erklärt auch, wieso man eher zu Gewalt
neigt, wenn man hochprozentigen Alkohol getrunken hat“, sagt Bacher. Wo beim Betrunkenen selbst die Grenze liege, ab der das Aggressionspotenzial steige, könne pauschal nicht festgemacht werden. „Sie liegt aber jedenfalls über 0,8 Promille, oft ab 1,2/1,3 Promille.“
Umgelegt auf die Debatte zu möglichen Alkoholverboten seien beide Ausprägungen nicht optimal. Denn in jedem Fall nehme man alkoholisiert Dinge nicht mehr so ernst. „Das trifft auf den Autofahrer zu, der dann in die falsche Richtung fährt – Hauptsache, er kommt vorwärts. Und das trifft wohl auch auf jemanden zu, der sich eigentlich an die Coronaregeln halten müsste.“
Auf einen ähnlichen Effekt verweist Caroline Weinlich, Psychotherapeutin
und therapeutische Leiterin der Suchthilfe-Klinik Salzburg. Durch Alkohol – ein Nervengift – würden Hemmungen gesenkt. Auch psychologisch gebe es aber nicht die eine Wirkung. Vielmehr hänge die Ausprägung von der Persönlichkeit ab – und der Alkohol wirke wie ein Schutzmechanismus. „Wenn sich jemand dauerhaft verpflichtet fühlt, sich um andere zu kümmern, wird er sich mit Alkohol eher zurückziehen. Wenn jemand soziale Ängste hat, wird er besser unter Leute gehen könne.“
Aber ist Alkoholkonsum dann gar nicht so schlecht, wie er oft gemacht wird? Auch in diesem Punkt sind sich Bacher und Weinlich einig: Die Dosis mache das Gift. „Es gibt eine gute Studie, die belegt, dass Alkohol
Zellen nicht auf Dauer beschädigt – wenn der Konsum nicht übermäßig ist“, sagt Bacher. Und Weinlich ergänzt: „Das Problem ist nicht, vereinzelt Alkohol zu konsumieren, sondern wenn er regelmäßig benutzt wird, um Probleme zu kaschieren.“Ab wann die Dosis zu hoch sei, sei neuerlich schwer festzumachen. Ein starker Indikator sei, wenn man auf andere Tätigkeiten verzichte, die einen auch erfüllten – weil einem der Alkoholkonsum wichtiger sei.
Neuerlich umgelegt auf die Diskussion zu Alkoholverboten bedeute dies, dass vor allem die Konsummenge im Blick behalten werden sollte. Denn bei einem „generellen Besäufnis“werde es mit Sicherheit schwer, die Abstandsregeln einzuhalten. Aber: „Ich glaube, die meisten Leute können sehr wohl die Dosis regulieren“, sagt Weinlich. Dazu komme ein Ausweicheffekt. Bei einem Verbot könne es passieren, dass dafür umso mehr in Bars, auf der Straße oder zu Hause vor- bzw. nachgetrunken werde.
Und was empfehlen die Experten nun konkret für die Adventmärkte oder Skiopenings? Es ergebe schon Sinn, sich zu Maßnahmen Gedanken zu machen, sagt Bacher. Ein Alkoholverbot ist für ihn aber „etwas hanebüchen“. Einen starken Effekt hätte dieses wohl nur dann, wenn deswegen schlicht weniger Leute etwa auf Adventmärkte gehen. „Wenn ich Bier in Biergärten verbiete, werden diese wohl auch schnell leerer werden.“Aber man müsse ebenso bedenken, was ein Verbot für wirtschaftliche und soziale Auswirkungen haben könnte. „Da ist mit Widerstand der Bevölkerung zu rechnen.“Also hat Bacher eine andere Idee: Man könne eine Grenze einziehen. „Nach zwei Glühwein könnte zum Beispiel Schluss sein.“Wenngleich ihm klar sei, dass dies schwer kontrollierbar wäre. Dafür hat aber Caroline Weinlich einen Lösungsansatz: Am Adventmarkt könnten Bons, also Gutscheine, verteilt werden, mit denen man nur ein, zwei Punsche bekäme. „Das wäre nicht aufwendig – brächte aber wohl eine gewisse Reduktion.“
„Ein Verbot wäre etwas hanebüchen.“
Hannes Bacher, Suchthilfe-Klinik