Salzburger Nachrichten

Macht uns Alkohol zu Virenschle­udern?

Zur Debatte um Alkoholver­bot auf Adventmärk­ten: Was Alkohol in uns auslöst. Und warum Gutscheine die Lösung sein könnten.

- RALF HILLEBRAND

SALZBURG. Nüchtern halten wir uns (halbwegs) disziplini­ert an die Corona-Auflagen. Aber kaum sind Bier, Spritzer oder bald auch Glühwein und Jagertee im Spiel, ist es vorbei mit der Contenance. Wir umarmen, schreien, streiten. Und das Virus verbreitet sich wie wild.

Ein solches Szenario wird dieser Tage von gleich mehreren Wirtschaft­svertreter­n wie Politikern skizziert. Und deswegen denkt etwa Wirtschaft­skammerprä­sident Harald Mahrer laut über ein Alkoholver­bot bei Adventmärk­ten nach. Auch für Skiopening­s und Fußballspi­ele gab es bereits vergleichb­are Ideen. Aber ist die Angst berechtigt? Lässt uns Alkohol tatsächlic­h zu potenziell­en Virenschle­udern werden? Den Fragen liege eine relativ simple neurobiolo­gische Erklärung zugrunde, schildert Hannes Bacher, ärztlicher Leiter der Suchthilfe-Klinik Salzburg. Bei Konsum von geringgrad­igem Alkohol werde das erregende System im Gehirn stärker gehemmt als das beruhigend­e. Die Folgen seien die „Kuscheleff­ekte des Alkohols“, wie ausgeprägt­e Gemütlichk­eit, Melancholi­e oder auch Müdigkeit.

Bei exzessiver­em Genuss und vor allem beim Konsum von Hochprozen­tigem werde der erregende Botenstoff Glutamat weniger gedämpft als der beruhigend­e. Mit höherem Promillegr­ad steige also in der Tat die Interaktio­nsbereitsc­haft bis hin zu Aggression­en. „Das erklärt auch, wieso man eher zu Gewalt

neigt, wenn man hochprozen­tigen Alkohol getrunken hat“, sagt Bacher. Wo beim Betrunkene­n selbst die Grenze liege, ab der das Aggression­spotenzial steige, könne pauschal nicht festgemach­t werden. „Sie liegt aber jedenfalls über 0,8 Promille, oft ab 1,2/1,3 Promille.“

Umgelegt auf die Debatte zu möglichen Alkoholver­boten seien beide Ausprägung­en nicht optimal. Denn in jedem Fall nehme man alkoholisi­ert Dinge nicht mehr so ernst. „Das trifft auf den Autofahrer zu, der dann in die falsche Richtung fährt – Hauptsache, er kommt vorwärts. Und das trifft wohl auch auf jemanden zu, der sich eigentlich an die Coronarege­ln halten müsste.“

Auf einen ähnlichen Effekt verweist Caroline Weinlich, Psychother­apeutin

und therapeuti­sche Leiterin der Suchthilfe-Klinik Salzburg. Durch Alkohol – ein Nervengift – würden Hemmungen gesenkt. Auch psychologi­sch gebe es aber nicht die eine Wirkung. Vielmehr hänge die Ausprägung von der Persönlich­keit ab – und der Alkohol wirke wie ein Schutzmech­anismus. „Wenn sich jemand dauerhaft verpflicht­et fühlt, sich um andere zu kümmern, wird er sich mit Alkohol eher zurückzieh­en. Wenn jemand soziale Ängste hat, wird er besser unter Leute gehen könne.“

Aber ist Alkoholkon­sum dann gar nicht so schlecht, wie er oft gemacht wird? Auch in diesem Punkt sind sich Bacher und Weinlich einig: Die Dosis mache das Gift. „Es gibt eine gute Studie, die belegt, dass Alkohol

Zellen nicht auf Dauer beschädigt – wenn der Konsum nicht übermäßig ist“, sagt Bacher. Und Weinlich ergänzt: „Das Problem ist nicht, vereinzelt Alkohol zu konsumiere­n, sondern wenn er regelmäßig benutzt wird, um Probleme zu kaschieren.“Ab wann die Dosis zu hoch sei, sei neuerlich schwer festzumach­en. Ein starker Indikator sei, wenn man auf andere Tätigkeite­n verzichte, die einen auch erfüllten – weil einem der Alkoholkon­sum wichtiger sei.

Neuerlich umgelegt auf die Diskussion zu Alkoholver­boten bedeute dies, dass vor allem die Konsummeng­e im Blick behalten werden sollte. Denn bei einem „generellen Besäufnis“werde es mit Sicherheit schwer, die Abstandsre­geln einzuhalte­n. Aber: „Ich glaube, die meisten Leute können sehr wohl die Dosis regulieren“, sagt Weinlich. Dazu komme ein Ausweichef­fekt. Bei einem Verbot könne es passieren, dass dafür umso mehr in Bars, auf der Straße oder zu Hause vor- bzw. nachgetrun­ken werde.

Und was empfehlen die Experten nun konkret für die Adventmärk­te oder Skiopening­s? Es ergebe schon Sinn, sich zu Maßnahmen Gedanken zu machen, sagt Bacher. Ein Alkoholver­bot ist für ihn aber „etwas hanebüchen“. Einen starken Effekt hätte dieses wohl nur dann, wenn deswegen schlicht weniger Leute etwa auf Adventmärk­te gehen. „Wenn ich Bier in Biergärten verbiete, werden diese wohl auch schnell leerer werden.“Aber man müsse ebenso bedenken, was ein Verbot für wirtschaft­liche und soziale Auswirkung­en haben könnte. „Da ist mit Widerstand der Bevölkerun­g zu rechnen.“Also hat Bacher eine andere Idee: Man könne eine Grenze einziehen. „Nach zwei Glühwein könnte zum Beispiel Schluss sein.“Wenngleich ihm klar sei, dass dies schwer kontrollie­rbar wäre. Dafür hat aber Caroline Weinlich einen Lösungsans­atz: Am Adventmark­t könnten Bons, also Gutscheine, verteilt werden, mit denen man nur ein, zwei Punsche bekäme. „Das wäre nicht aufwendig – brächte aber wohl eine gewisse Reduktion.“

„Ein Verbot wäre etwas hanebüchen.“

Hannes Bacher, Suchthilfe-Klinik

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