Streitfall Obsorgeentzug
Zum Artikel „Wann darf man Eltern ihr Kind wegnehmen?“von Thomas Hödlmoser und Stephan Kliemstein (SN v. 29. 8.):
Zunächst möchte ich betonen, dass der Bericht für interessierte und auch betroffene Leser/-innen jedenfalls mehr Transparenz dahingehend bringt, wie das „Zusammenspiel“von Jugendämtern, Familiengerichtshilfe und gerichtlich vereidigten Sachverständigen abläuft. Die landläufige Zuschreibung „Das Jugendamt nimmt uns die Kinder weg“wird hiermit relativiert und der rechtsstaatliche, gerichtliche Weg aufgezeigt.
Wenn in dem Beitrag nun Sozialarbeiter/-innen der Kinder- und Jugendhilfebehörde (Jugendamt) beklagen, dass sie „aktuell schätzungsweise die Hälfte aller Verfahren“verlieren, so möchte ich folgende Bemerkungen hierzu anführen: – Wenn der fachliche Standard „Fehlerkultur in Organisationen“, also das Anerkennen von möglichen Fehlern auch in der Kinderund Jugendhilfe, Bedeutung hat, dann ist die Formulierung, dass diese Obsorgeverfahren, die durch das Jugendamt eingeleitet werden, „verloren“werden, tendenziell hinterfragungswürdig. – Eine Vergleichsstudie:
„Wenn Jugendämter scheitern“von Kay Biesel, 2011, transcript Verlag, Bielefeld, untersuchte zwei deutsche Jugendämter im Hinblick auf auffallend unterschiedliche Zahlen an Kinderschutz-Fallverläufen mit Todesfolgen in ihren Zuständigkeitsbereichen. In dieser Studie wird der Fokus auf die je unterschiedliche „Organisationskultur“gelegt. Der Umgang mit Fehlern im Kinderschutz an Jugendämtern wird als wesentlicher Parameter erforscht und dargestellt. – Bei aller Anerkennung der äußerst schwierigen und verantwortungsvollen Aufgabe der Sozialen Arbeit an Jugendämtern erscheint es mir als unwahrscheinlich, dass, wenn die Hälfte der Verfahren nicht im Sinne der Kinder- und Jugendhilfebehörde ausgeht, es ausschließlich an Fehlern von Gerichten und Gutachtern/-innen liegt.
Hans Peter Radauer, Leiter der Fachgruppe Kinder- und Jugendhilfe des Österreichischen Berufsverbandes der Sozialen Arbeit
5020 Salzburg