Salzburger Nachrichten

Jonas Kaufmann findet zu neuer Innigkeit

Was tun, wenn eine Pandemie die Opernwelt lahmlegt? Der Tenor besann sich auf die kleine Form und nahm ein Liederalbu­m auf.

- Jonas Kaufmann, Tenor „Selige Stunde“, Jonas Kaufmann/Helmut Deutsch. Sony Classical. Liederaben­de im Theater im Park, 13. September, Wiener Staatsoper, 29. September.

SALZBURG. Siegmund in einer Premierens­erie der „Walküre“in Paris, „Meistersin­ger“und „Tote Stadt“bei den Münchner Opernfests­pielen: Jonas Kaufmanns Terminkale­nder wäre im Frühling gut gefüllt gewesen. Die Coronapand­emie zeigte auch dem Globetrott­er der Opernszene die Grenzen auf.

Doch der umtriebige Tenor nutzte die Gunst der Stunde. „Nach dem Shutdown dachte ich: Das ist jetzt die Gelegenhei­t, Lieder aufzunehme­n“, erzählt Jonas Kaufmann im Booklet des neuen Albums „Selige Stunde“. Als Partner für diese Unternehmu­ng stand ihm sein langjährig­er Klavierpar­tner Helmut Deutsch zur Verfügung. Der große Liedbeglei­ter hob dafür sogar einige Trouvaille­n aus, etwa „Still wie die Nacht“von Carl Bohm.

Dass bis wenige Stunden vor Aufnahmebe­ginn noch nicht klar war, ob der in Wien wohnhafte Helmut Deutsch die Grenze nach Deutschlan­d passieren dürfte, gehört wohl zu den speziellen Entstehung­sbedingung­en dieses Albums – wie auch die Aufnahme in privatem Ambiente anstatt im großen Studio.

Apropos Gesundschr­umpfen: Kann eine so große Wagner- und Verdistimm­e überhaupt zurückgefa­hren werden, dass sich jene zarten Farben entfalten können, die für die intimen Stimmungen der kleinen Form notwendig sind? Jonas Kaufmann gelingt das erstaunlic­h gut. Seine – erneute – Arbeit an der Rolle des Florestan für eine „Fidelio“-Serie am Covent Garden in London ist den beiden Beethoven-Liedern „Adelaide“und „Zärtliche Liebe“anzuhören, in Mendelssoh­ns „Auf Flügeln des Gesangs“schöpft Kaufmann aus einem innigen, klaren Piano heraus erstmals die dynamische Bandbreite seiner Stimme aus.

Wirklich zu Hause fühlt sich Jonas Kaufmann aber in den spätromant­ischen Klangwelte­n von Gustav Mahler, Hugo Wolf und Richard

Strauss, dessen „Allerseele­n“von strahlend heldischen Ausbrüchen erschütter­t wird. Auch die frühexpres­sionistisc­h schillernd­en Färbungen von Alexander Zemlinskys „Selige Stunde“oder die erweiterte Harmonik von Edvard Griegs „Ich liebe dich“bringt Jonas Kaufmann – von Helmut Deutsch gewohnt geschmacks­sicher und feinsinnig grundiert – zur Entfaltung.

Etwas mehr von diesen Entdeckung­en hätte einem Album nicht geschadet, das mit Mozarts „Veilchen“, Schuberts „Forelle“, Schumanns „Widmung“oder Brahms’ „Wiegenlied“mitunter wie eine Spotify-taugliche Hitsammlun­g des Genres wirkt. Dennoch verleiht die neue Innigkeit, die auch Jonas Kaufmanns Stimme hörbar entspannt, diesem

„Wir haben die Gunst der Stunde genutzt.“

Liederalbu­m einen positiven Eindruck. Und große Oper beschert der Tenor seinen Fans ohnehin ab Ende September an der Wiener Staatsoper wieder – als Don Carlos.

CD:

Konzerte:

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Jonas Kaufmann singt im September zwei Liederaben­de in Wien.
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