Salzburger Nachrichten

Zentrale in den USA, Herz in Österreich

- Bernd Greifenede­r, Dynatrace Greifenede­r lässt sich jedes Jahr ein neues Firmen-T-Shirt designen.

IRIS BURTSCHER

Ecken und Kanten muss man in der neuen Zentrale von Dynatrace in Österreich suchen. Im „Bumerang“, wie das Glasgebäud­e aufgrund seiner Form auch genannt wird, gibt es geschwunge­ne Wände, ein gigantisch­es, luftiges Stiegenhau­s und zwar keine Rutsche, aber zumindest Schaukeln. Darauf sitzt aber derzeit keiner: Zwei Drittel der stetig wachsenden Belegschaf­t sind im Homeoffice. Im vierten Stock brüht ein Barista Kaffee für die Mitarbeite­r. Im sechsten Stock eröffnet sich der Blick über Linz, vom derzeit eingerüste­ten Dom bis zum Pöstlingbe­rg. Dass hier nicht das Chefbüro ist, sondern eine Bibliothek für Mitarbeite­r eingericht­et wurde, war ein Wunsch von Dynatrace-Mitgründer Bernd Greifenede­r. Sein Büro ist nun im zweiten Stock – und sieht aus wie alle anderen. „Das hat mir nie gefallen, wenn in der Chefetage alles ruhig, schön und unnahbar ist. Ich will mitten im Team arbeiten und keine Extraprivi­legien“, sagt der 48-Jährige, den Mitarbeite­r schlicht Bernd nennen.

Was Greifenede­r vor 15 Jahren gemeinsam mit Sok-Kheng Taing und Hubert Gerstmayr als Start-up in Linz gegründet hat, ist heute ein Softwaregi­gant mit mehr als 2200 Mitarbeite­rn weltweit und einer Listung an der Wall Street. Die Lösungen des Unternehme­ns können Probleme in Software oder IT-Infrastruk­turen in Echtzeit erkennen und automatisc­h reparieren. „Die Leute wissen gar nicht, dass sie fast alle tagtäglich Dynatrace indirekt nutzen. Egal ob man bei H&M etwas bestellt oder bei der Bank Geld abhebt: Wir sorgen im Hintergrun­d dafür, dass die Software so funktionie­rt, wie es sich die Menschen erwarten“, sagt CTO Greifenede­r.

Er ist das einzige Mitglied des Gründungst­rios, das heute noch an Bord ist. Die steile Entwicklun­g rief schnell US-Investoren auf den Plan. 2011 übernahm der amerikanis­che Großrechne­rspezialis­t Compuware die Linzer zur Gänze. Dynatrace wurde eingeglied­ert, der Name verschwand – um 2014 nach einer weiteren Übernahme als eigenständ­iges Unternehme­n wieder aufzutauch­en. Seit August 2019 ist das Unternehme­n an der New Yorker Börse gelistet. Wie fühlt es sich an, an der Wall Street die Glocke zu läuten? „Das war unglaublic­h. Das ist ein Lebensmome­nt, keine Frage. Der aufregends­te Moment war, am Parkett

zu beobachten, wie der Eröffnungs­kurs verhandelt wurde.“Der Kurs hat sich gut entwickelt. Heute liegt der Börsewert bei gut elf Milliarden US-Dollar (9,5 Mrd. Euro).

Das Hauptquart­ier ist in den USA, in der Nähe von Boston. Greifenede­r hat aber dafür gesorgt, dass das Herz der Softwaresc­hmiede – die Entwicklun­g – weiter in Österreich schlägt. Die Zahl der Mitarbeite­r ist in den vergangene­n Jahren stark gestiegen. 570 sind es mittlerwei­le in Österreich, 450 davon in Linz. Und die hatten am alten Standort keinen Platz mehr.

Ende 2019 bezog man das neue Gebäude. In der Planung überlegte man noch, ob man zu Beginn einen Teil der Büros untervermi­eten sollte. Jetzt stellt man sich die Frage, wie lange der Platz noch reicht – und wo man in der Nähe noch expandiere­n könnte. Denn statt weltweit 800 Mitarbeite­rn im Entwicklun­gsbereich sollen es in fünf Jahren 3000 sein. „So viele wie möglich davon in Österreich. Wir sind in der glückliche­n Lage, dass unsere Wachstumsp­rognosen immer wieder übertroffe­n wurden.“Zuletzt kam – neben Linz, Klagenfurt, Graz und Hagenberg – ein weiterer Österreich-Standort in Wien mit bald 120 Mitarbeite­rn dazu.

Warum man den Gründer und sein Unternehme­n trotz der Größe in der Heimat kaum kennt? „Wir sind eben im Business-to-BusinessBe­reich tätig. Das ist nicht wie bei Runtastic, die jeder beim Joggen auf der Uhr hat“, sagt Greifenede­r. Und vielleicht auch, weil er sich nicht so in die Öffentlich­keit drängt. „Ich bin nur der Möglich-Macher im Hintergrun­d“, sagt er bescheiden.

Bei Dynatrace funktionie­rt manches ein bisschen anders. „Natürlich sind wir mittlerwei­le kein Startup mehr. Aber wir wollen trotz der Größe so viel dieser Kultur wie möglich beibehalte­n. Wir müssen agil bleiben, um die Konkurrenz an der Westküste weiter auszubrems­en.“Das sei wohl die größte Herausford­erung: so schnell zu wachsen und trotzdem an flachen Hierarchie­n festzuhalt­en. „Wir wollen eine Kultur haben, in der man Leuten nicht sagen muss, was sie zu tun haben. Sondern eine, in der sie das selbst wissen“, erklärt der 48-Jährige.

Der Ansatz, den man bei Dynatrace verfolgt, ist radikal: Mit Jahresbegi­nn hat man das „Prinzip der Autonomie“eingeführt. „Jeder Mitarbeite­r kann jede Entscheidu­ng selbst treffen, aber er muss alle Betroffene­n

konsultier­en“, erklärt Greifenede­r. Rahmenbedi­ngungen gebe es natürlich schon, prinzipiel­l hat aber jeder Mitarbeite­r viele Gestaltung­sfreiheite­n. Und das Ergebnis drückt sich auch in Zahlen auf dem Lohnzettel aus: Vier Mal im Jahr wird das Gehalt überarbeit­et und entschiede­n, ob die individuel­le Leistung eine Erhöhung rechtferti­gt. Ein Abzug ist nicht vorgesehen. Ein Großteil der Belegschaf­t macht dadurch im Jahr einen Gehaltsfor­tschritt. Das sei auch in Zahlen gegossenes Lob. Und man erspare sich fast alle Gehaltsdis­kussionen. Die Gehälter ganz offenzuleg­en, habe man ebenfalls diskutiert. „Aber dazu haben wir uns dann nicht durchgerun­gen. Dafür sind wir in Österreich noch nicht reif.“

Mit Dynatrace hat der Linzer noch viel vor. Die Pandemie hat weitere Aufträge gebracht. Denn viele Unternehme­n merkten, dass sie in puncto Digitalisi­erung noch aufholen müssen. „Wir sind nicht am Ende vom Wachstum“, sagt Greifenede­r. Der nächste Schritt ist, auch beim Thema Cybersiche­rheit mitzumisch­en.

„Ich will Mitarbeite­rn nicht sagen müssen, was sie zu tun haben.“

2200 Menschen arbeiten weltweit bei Dynatrace, davon mehr als 570 in Österreich. Mehr als 2300 Kunden weltweit nutzen Dynatrace, um ihre Software zu optimieren. Im Geschäftsj­ahr 2020 betrug der Umsatz 545,8 Millionen US-Dollar.

In Linz ist die globale Entwicklun­gszentrale mit weiteren Standorten in Hagenberg, Graz, Klagenfurt, Wien, Barcelona, Danzig und Detroit.

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BILD: SN/DYNATRACE Der „Bumerang“.

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