Türkische Ärzte kritisieren Corona-Tricksereien
Die Pandemie dürfte wesentlich massiver verlaufen als in den offiziellen Zahlen der Erdoğan-Regierung angegeben.
ANKARA. Die Regierung von Staatschef Recep Tayyip Erdoğan manipuliert die Coronafallzahlen. Infizierte tauchen nur in der Statistik auf, wenn sie erkrankt sind. Das könnte missliche Folgen für Türkei-Urlauber haben.
Schon lang gab es Zweifel an den offiziellen Statistiken. Jetzt bestätigt sich das Misstrauen: Die Infektionszahlen könnten bis zu 20 Mal so hoch sein wie die gemeldeten Fälle. Die Pandemie hat damit in der Türkei offenbar weitaus größere Ausmaße als von den Behörden dargestellt. Das ist keine gute Nachricht für den Tourismus. Bisher stuft zum Beispiel Deutschland vier türkische Küstenregionen als „sicher“ein: Aydin, Izmir, Muğla und Antalya.
Aufgedeckt hatte die Manipulationen der türkische Oppositionsabgeordnete Murat Emir. Er gelangte an internes Zahlenmaterial des Gesundheitsministeriums. Demnach wurden am 10. September 29.377 Menschen positiv getestet. Die täglich veröffentlichte Coronastatistik des Ministeriums wies aber nur 1512 neue Fälle aus. Inzwischen räumte Gesundheitsminister Fahrettin
Koca auf einer Pressekonferenz ein: „Wir veröffentlichen nicht Fallzahlen, sondern Patientenzahlen.“
Die türkische Ärztevereinigung TTB wirft dem Minister vor, sein Krisenmanagement sei „undurchsichtig“. In einer Erklärung des Verbands heißt es: „Wir haben es seit sechs Monaten gesagt: Sie haben die Tatsachen verschleiert.“Damit habe der Minister die Ausbreitung der Pandemie begünstigt.
Denn es gilt als gesichert, dass auch Infizierte, die selbst keine Symptome zeigen, das Virus weitergeben können. Mit ihren Statistiken täusche die Regierung daher die Bevölkerung über die wahren Infektionsrisiken, lautet der Vorwurf. Koca sagt, schon seit 29. Juli melde sein Ministerium keine Neuinfizierten mehr, sondern nur neue Erkrankungen – also die Angesteckten, die auch Symptome zeigen.
In der offiziellen Statistik wurde die Rubrik „neue Fallzahl“in „neue Krankenzahl“geändert. Eigentlich hätte die Zahl daraufhin schlagartig zurückgehen müssen. Das war aber nicht der Fall – weil die Regierung bereits vor der Änderung die Statistik geschönt habe, wie TTB-Präsident Sinan Adiyaman vermutet.
Und offenbar verschleiert die Regierung nicht nur die Zahl der Infektionen. Auch an den offiziell genannten Todesfällen gibt es wachsende Zweifel. Der offiziellen Statistik zufolge sind bisher in der Türkei 8262 Menschen an den Folgen von Covid-19 gestorben. Die tatsächliche Zahl liege jedoch in der Größenordnung von 20.000 bis 30.000, sagt der Medizinprofessor Emrah Altindiş Für die Ärztevereinigung könnte ihre Kritik missliche Folgen haben. Erdoğans Koalitionspartner Devlet Bahçeli, Chef der ultranationalistischen Partei MHP, fordert bereits, sie zu verbieten.