Zuckerbrot und Peitsche für Erdo˘gan
Es war schwierig. Doch die 27 EU-Staaten haben auf ihrem Gipfel eine Position zur Türkei und zu Belarus gefunden. Es ist der kleinste gemeinsame Nenner.
Die EU greift gegenüber der Türkei und deren Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zu Zuckerbrot und Peitsche. Nichts anderes bedeutet die Position, auf die sich die 27 Staats- und Regierungschefs in der Nacht auf Freitag auf ihrem Sondergipfel in Brüssel nach zähen Verhandlungen geeinigt haben.
Sie stellen der Türkei einen Ausbau der Zollunion sowie Handelserleichterungen in Aussicht. Beides kann Erdoğan angesichts der lahmenden Wirtschaft in seinem Land gut brauchen.
Voraussetzung dafür ist allerdings, dass Erdoğan an einer Lösung im Streit um die Erdgasvorkommen
im östlichen Mittelmeer mitwirkt. Angesprochen werden die „illegalen Aktivitäten gegenüber Griechenland und Zypern“. Sollte es jedoch weiter Provokationen und völkerrechtswidrige Aktivitäten seitens der Türkei geben, werden „Maßnahmen“angedroht, ohne dass das Wort Sanktionen vorkommt.
Da war für jeden etwas dabei. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die in ihrer Rolle als Ratsvorsitzende zuletzt in dem Konflikt vermittelt hatte, betonte die Fortsetzung des Dialogs. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz, der wie schon oft den Abbruch der Beitrittsgespräche gefordert hatte, hob wie auch Frankreichs Präsident Emmanuel
Macron die Sanktionsdrohung hervor. Und Griechenland hatte sich schon zuvor mit der Türkei auf einen Prozess der Entspannung im Erdgasstreit geeinigt.
Nicht ganz so glücklich dürfte Zyperns Präsident Nikos Anastasiadis gewesen sein. Er stimmte zwar nach wochenlanger Weigerung EU-Sanktionen gegen Belarus nun doch zu. Damit gelangte die EU endlich zu der gewünschten einhelligen Haltung gegen das Regime von Alexander Lukaschenko. „Ein großer Fortschritt“, wie Merkel die
Lösung in der Türkei- und BelarusFrage kommentierte. Doch dafür musste Anastasiadis sein einziges Druckmittel aus der Hand geben, mit dem er ein hartes EU-Vorgehen gegen Ankara hatte erzwingen wollen.
Die EU wirft Lukaschenko vor, die Präsidentschaftswahl im August gefälscht zu haben und die friedlichen Oppositionsproteste gewaltsam unterdrücken zu lassen. Die seit Langem vorbereitete Sanktionsliste mit den Namen von 40 Personen aus Lukaschenkos Umfeld trat nun in Kraft. Unter anderem werden sie mit einem Einreiseverbot in die EU und mit Kontosperren belegt. Lukaschenko selbst steht noch nicht auf der Liste.
Am zweiten Gipfeltag sollte es um eine Stärkung des Binnenmarktes gehen. Zur Sprache kam außerhalb der Tagesordnung dann ein Problem, das dem Funktionieren des Binnenmarktes und noch mehr einzelnen Branchen, vor allem dem Tourismus, enorm zusetzt: die wechselseitigen Reisewarnungen. Sebastian Kurz sagte, Österreich und einige andere Staaten hätten das Thema angesprochen, weil eine „europäische Abstimmung“notwendig sei. Derzeit gebe es für Einreise, Quarantäne und Tests unterschiedliche Regelungen in den EULändern. Bestimmte Bereiche müssten jedoch koordiniert werden. Die Aussprache auf dem Gipfel sei ein „Fortschritt“gewesen.