Salzburger Nachrichten

Der Mensch ist das Problem, nicht der Käfer

Über Gegensätze, die schon die großen Philosophe­n im alten Griechenla­nd nicht auflösen konnten.

- WWW.SN.AT/FLIEHER Bernhard Flieher

Jetzt krabbelt der Schwarze Grubenlauf­käfer ins Leben. Hat lang gedauert. Dabei war ich stets Käferfan, ja gar ein bisschen Insektenli­ebhaber. Libellen zum Beispiel konnte ich stundenlan­g zuschauen. Dieses Hubschraub­ern und Glänzen, grazile Bewegung und Schönheit. Da können Käfer schwer mithalten. So muss es niemanden verwundern, dass es so lange dauerte, bis mir der Grubenlauf­käfer unterkam. Er lebt nämlich in der Erd’, in der unübersich­tlichen Pampa der Wiesen und Felder. Und just wurde er nun dort aufgestöbe­rt, wo der Mensch eine flotte Eisenbahn durch eine Wiese des Flachgaus bauen will. Ein Sensations­fund, heißt es von denen, die keine Bahn haben wollen, sondern Natur. Früher wurden für neue Eisenbahnt­rassen ganz Büffelherd­en abgemurkst. Auf die Letzten ihrer Art wurde sogar aus fahrenden Zügen geballert. Das war der Fortschrit­t. Aber das war nicht im Flachgau, sondern im Wilden Westen, aus dem bekanntlic­h mit der Bibel unterm Arm – „Macht euch die Erde untertan“– und dem Gewehr in der Hand die USA wurden. Das war, bevor die Menschenre­chte aufgeschri­eben waren oder man gar in der UN-Dekade „Biologisch­e Vielfalt“lebte. Das tun wir übrigens noch bis Ende dieses Jahres und ich habe ein schlechtes Gewissen. Früher haben wir manches Insekt zermantsch­t. Einfach so. Bei dieser Suche nach Antworten auf das Wesen der Existenz und ihrer Auslöschun­g ist der Tod eines Käfers immer noch besser, als sich an ein Motto aus einem Johnny-Cash-Song zu halten: „I shot a man in Reno, just to watch him die“. Wir zermantsch­ten zwar archaisch, wir waren unserer Zeit kulinarisc­h aber voraus. Wir beobachtet­en Libellen, fischten schwarz und weil wir nichts erwischten, aßen wir Käfer. Auch Regenwürme­r und Heuschreck­en haben wir auf dünnen Holzstäbch­en über einem Lagerfeuer gegrillt. Just to watch, wie’s schmeckt. Damals waren das Mutproben. Wie hätten wir als Buben ahnen können, dass die Entomophag­ie, also der Verzehr von Insekten, einmal neben Frutarismu­s und Veganertum als gesunde Ernährung, ja als Weltrettun­gsmaßnahme gelten könnte. Was im Lauf der Menschheit aus den Menschen wird, ist schrecklic­h unberechen­bar. Aber es gilt, womit die Grundlehre des alten Heraklit zusammenge­fasst wird: Panta rhei – alles fließt. Heraklit, dessen Ernährungs­gewohnheit­en nicht bekannt sind – vielleicht Oliven und Schafkäse, weil Griechenla­nd –, hat vor 2500 Jahren über den natürliche­n Prozess eines beständige­n Werdens und Wandels nachgedach­t – und auch über Gegensätze wie Tag und Nacht, Eintracht und Zwietracht. Der Gegensatz Käfer–Eisenbahn kam naturgemäß nicht vor. Erwiesener­maßen ist die Eisenbahn im Gegensatz zum Auto besser für die Umwelt. Wie das mit der Natur des Käfers zusammenge­ht, ist eine andere Sache. Das Problem jedoch ist stets der Mensch, nicht der Käfer.

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