Zwischen blühenden Landschaften und unerfüllten Hoffnungen
30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung hinkt die Wirtschaft im Osten immer noch nach. Die Bilanz fällt dennoch positiv aus.
„So haben wir uns den Kapitalismus nicht vorgestellt“– ein Satz, den man in dieser oder leicht abgewandelter Form in Ostdeutschland schon bald nach der Wende von vielen Bürgern zu hören bekam. Nachdem die erste Euphorie über die Wiedervereinigung Deutschlands abgeklungen und den Niederungen des Alltags gewichen war, wurde vielen bewusst, dass das Zusammenführen zweier Länder mit diametral entgegengesetzten Wirtschaftsmodellen mit großen Schmerzen verbunden sein würde.
Das wusste auch Helmut Kohl, denn die politische Führung in der Bundesrepublik war über den desaströsen Zustand, in dem sich die Volkswirtschaft der DDR befand, durchaus unterrichtet. Dennoch zeichnete der Bundeskanzler den ostdeutschen Bürgern im Juli 1990 ein rosiges Zukunftsbild. „Durch eine gemeinsame Anstrengung wird es uns gelingen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Sachsen und Thüringen schon bald in blühende Landschaften zu verwandeln, in denen es sich zu leben und zu arbeiten lohnt.“
Im Jahr darauf wiederholte Kohl sein Versprechen und setzte für den Umgestaltungsprozess im Osten drei bis vier Jahre an. Kohl war wohl klar, dass dies unrealistisch war, aber sein politischer Instinkt sagte ihm, dass nichts die einmalige Chance der Wiedervereinigung Deutschlands gefährden dürfe. Kohl war kein Wirtschaftspolitiker, sonst hätte er den Währungstausch im Verhältnis eins zu eins nicht durchgesetzt. Die D-Mark erwies sich für die brachliegende Wirtschaft im Osten als viel zu stark. Das Leben dort wurde schlagartig teurer, mit offenen Märkten und internationaler Konkurrenz konfrontiert, stellte sich rasch heraus, dass die volkseigenen Betriebe nicht wettbewerbsfähig waren. Hier trat die Treuhand auf den Plan. Noch zu DDR-Zeiten gegründet, um das Volkseigentum zu bewahren, wurde sie rasch zu einer Privatisierungs- und Liquidationsanstalt, die mehr als eine Million Ostdeutsche arbeitslos machte. Die Wut auf die Treuhand fand ihren tragischen Höhepunkt in der Ermordung ihres Chefs Detlev Rohwedder durch RAF-Terroristen. Die Treuhand-Bilanz ist durchwachsen, unter den Profiteuren der Privatisierung waren nur wenige Ex-DDR-Bürger.
Auf den Glücksrausch der überwundenen Teilung folgte ein kurzer Kaufrausch der Konsumenten, die ihr Glück ob der Auswahl an Produkten kaum fassen konnten. Dann kam der Kater, vielen brummt heute noch der Schädel. 30 Jahre später verdienen Menschen im Osten noch immer um 20 Prozent weniger als im Westen, die Wirtschaftsleistung ist rund 30 Prozent geringer. Manches von Kohls Vorhersagen ist jedoch eingetreten. Es gibt sie, die blühenden Landschaften – im Osten von Berlin, in Brandenburg, in Leipzig. Auch die Umweltsituation im Osten hat sich radikal verbessert.
Aber die Enttäuschung über den Kapitalismus im Osten ist geblieben. Zwei Drittel der Deutschen halten die Wiedervereinigung für nicht abgeschlossen, für fast ebenso viele ist sie dennoch eine Erfolgsgeschichte. Zu Recht. Die historische Leistung der ehemaligen DDRBürger, ein Regime besiegt zu haben, das sein Volk bespitzeln ließ und mit tödlicher Gewalt am Verlassen des Landes hinderte, die Chance, in Freiheit zu leben – all das wiegt mehr als die wirtschaftliche Ungleichheit. Diese zu verringern bleibt die Aufgabe in der Zukunft.