Verantwortung für den Verfall politischer Sitten
Donald Trump gegen Joe Biden war der Tiefpunkt aller Präsidentschaftsduelle. Deshalb werden die Regeln für die zweite TV-Runde am 15. Oktober geändert – falls sie trotz Coronaansteckung des Amtsinhabers stattfindet. Hoffnung auf mehr Qualität ist aber unangebracht. Trump wird seinem Stil treu bleiben: Mobilisierung von Kernwählern mit durch Twitter und Facebook hoffähig gewordenen Sitten – schamlose Lügen und pöbelnde Sprache; nun assistiert durch Unterbrechen und Übertönen statt Antworten und Argumenten. Das ist politisch wie medial zu erfolgreich für eine freiwillige Änderung. Trumps erstes Duell gegen Hillary Clinton 2016 erreichte mit 84 Millionen die meisten Zuseher aller solcher Debatten. Die Schlammschlacht vom Dienstag liegt mit 73 Millionen auf Rang drei des 1960 erstmals ausgetragenen und dann 15 Jahre pausierenden Formats. Es ist alle vier Jahre nach der Super Bowl im American Football die meistgesehene Sendung überhaupt. 2016 entschied sich jeder zehnte Wähler während oder nach einem dieser drei Duelle.
Diese Dimension zeigt die Mitverantwortung der Fernsehmacher für den politischen Sittenverfall. Journalistisches
Ethos und Qualitätsbewusstsein stehen im Widerstreit mit Geschäftsmodell und Quotenmaximierung. Aus diesem Blickwinkel gelang ORF III diese Woche ein Plädoyer für öffentlichrechtlichen Rundfunk: Die 15 Duelle zur Wien-Wahl waren zugleich konfrontativ und informativ und hätten bei Ausstrahlung auf einem Hauptkanal dennoch Spitzenquoten erreicht. Public Service pur. In den USA hingegen bleibt der fade Nachgeschmack eines Bärendienstes an der Demokratie.