„Ich wollte doch so gern zu den Pionieren gehören“
Deutschland feiert 30 Jahre Wiedervereinigung – und viele Salzburger, die in der einstigen DDR geboren sind, feiern mit. Den SN erzählen sie, was sie an ihrer neuen Heimat schätzen.
SALZBURG. Rund 19.500 Menschen mit deutschem Reisepass leben in Salzburg. Viele von ihnen stammen aus dem Osten, sind in der ehemaligen DDR geboren, haben die Wendezeit miterlebt, die Wiedervereinigung.
Für Ulrich Sernow, der 1989 nur wenige Minuten zu Fuß von der Mauer entfernt im damaligen Ostberlin lebte, hat der deutsche Grenzwall aber nie eine unüberwindbare Hürde bedeutet. „Als Volleyballprofi und DDR-Nationaltrainer war ich privilegiert und durfte ins Ausland, auch ins kapitalistische“, sagt Sernow.
Bei einem Länderturnier in der Mozartstadt 1990 wurde ihm ein Trainerjob in Salzburg angeboten. „Das traf sich ganz gut, weil die Nationalteams Ost und West wenig später zusammengelegt wurden, man nur einen Bundestrainer brauchte. Ich wusste, dass den Job mein Westkollege übernehmen würde.“Seine einstige Stütze im DDR-Nationalteam, Guido Stapelfeldt, nahm er gleich mit nach Salzburg. Stapelfeldt ist heute Pressesprecher beim RedBull-Eishockeyteam. Die erfolgreiche Zusammenarbeit gipfelte 1995 im Meistertitel für die Herren von Paris Lodron.
2024 wird Sernow als Sportwissenschafter an der Uni Salzburg in Pension gehen. Dann kehrt er zurück in den deutschen Osten. „Meine Frau hat im Thüringer Wald ihr Elternhaus geerbt, das renovieren wir gerade und wollen dort leben.“
Der Thüringer Wald ist auch die Heimat von Cornelia Zeiß, die 2013 nach Österreich zog. „Ich hatte mit meinem Partner eine eigene Eismanufaktur. Als die Beziehung zerbrach, war auch mein
Job weg“, erzählt die 37-Jährige. Jobs gab es im österreichischen Tourismus mehr als genug – und so ging Zeiß zunächst nach St. Anton, „auf Saison“, wie sie sagt. Im Jahr darauf landete sie in Salzburg. Hier arbeitet sie jetzt wieder in der Eisproduktion. „Ich bin vier Mal im Jahr in meinem Heimatort. Zurückziehen will ich nicht. Ich erlebe die Menschen dort als unzufrieden, die Arbeitslosigkeit ist hoch, die rechte NPD sitzt im Stadtrat. Damit kann ich mich nicht identifizieren.“
Auch Christian Schmidt ist 2008 aus der Nähe von Erfurt „abgehauen – und ich will nie wieder dort leben“. Für den gelernten Maler gab es weder Job noch Perspektive. „Zwei Monate bevor ich bei Hartz IV gelandet wäre, habe ich meine Sachen gepackt und bin nach Salzburg.“Dort habe er sich als Leiharbeiter beworben und fand sofort eine Anstellung. „Heute bin ich Werkzeugmacher in einer Antheringer
Firma. Ich habe zwei Kinder, die hier toll aufwachsen können. Ich gehe nicht mehr weg.“
Claudia Michel, in der Nähe von Dresden geboren, kann sich noch an ihre Kindheit in der DDR erinnern. „Mit der Einschulung kam man zu den Pionieren. Das war eine Massenorganisation für Kinder, wir haben uns alle so darauf gefreut, endlich dabei zu sein und die blauen Halstücher tragen zu dürfen.“Michel wurde im Herbst 1990 eingeschult, „da war nix mehr mit Halstüchern. Ich war so enttäuscht“.
Dafür gab es bald überall Supermärkte und „Obstsorten, von denen ich noch nie etwas gehört hatte“. Ihre Mutter verlor ihren Job im Großhandel und wurde Putzfrau. „2013 bin ich der Liebe wegen nach Salzburg übersiedelt. Ich habe beruflich Fuß gefasst, mein Sohn hat hier seine Freunde.“Heimkehren? „Vielleicht irgendwann, wenn meine Eltern mich brauchen.“