Salzburger Nachrichten

Empfindsam und umsonst

Der weiße Mann hat die Tendenz, die großen Dramen der Welt kleinzured­en. Kommt ein anderes Denken durch die Frauen und welche Tugenden braucht es dafür?

- JOB

GOLDEGG. „Hoffnung wider die Hoffnung“heißt der Vortrag von Reimer Gronemeyer bei den Goldegger Dialogen. Auf die Frage, was ihm Hoffnung gibt, fällt dem Theologen und Soziologen als Erstes der Satz von Greta Thunberg ein: „Lasst uns mit eurer Hoffnung in Frieden.“

Tatsächlic­h gebe es die Tendenz, dass die großen Dramen, die die Menschheit umschlinge­n, kleingered­et würden, meint Gronemeyer. In Wahrheit gebe es ganz viele Gründe, über den Ernst der Lage zu reden und nicht leichtfert­ig in die Hoffnung zu springen und so zu tun, als ob alles gut wäre.

Das Zweite wäre, dass man dann, wenn man die Gefahren mit dem nötigen Ernst wahrgenomm­en habe, nachdenken müsse, was jetzt zu tun sei. „Wenn ich da als alter, weißer Mann zaghaft von Hoffnung rede, bin ich mir bewusst, dass ich jener Generation angehöre, die die Katastroph­en abwiegelt.“

Die abendländi­sche Kultur sei eine der weißen Männer. „Sie hat uns viel Schönes gebracht, das will ich nicht in Bausch und Bogen verdammen“, betont Gronemeyer. „Aber je mehr wir auf die Gegenwart schauen, desto mehr hat der weiße Mann Instrument­e zum Ruin der Welt erfunden.“

Das lenke die Frage darauf, ob vielleicht eine Zeit anbreche, in der es die Frauen seien, die anstelle des bestimmend­en Mannes etwas Neues anfangen. „Wir brauchen einen solchen radikalen Neuanfang. Der wird mehr mit der Kultur der Frauen kommen als mit der Kultur der Männer“, ist Gronemeyer überzeugt.

Führt der Weg also von der Heldenkult­ur der Männer zu einer eher weiblichen Kultur der Empathie? „Ich glaube, dass es darum geht. Selbstvers­tändlich gibt es auch die Gefahr, dass die Frauen das fortsetzen, was die Männer begonnen haben. Das kann man nicht ausschließ­en. Aber im Moment ist der weiße Mann dabei, zu scheitern und die Welt zugrunde zu richten.“

Für Gronemeyer stellt sich daher die Frage, wo ein anderes Leben herkommen kann. Dazu verweist er auf einen anderen Kontinent: „Ich bin viel in Afrika und ich sehe, dass da, wo das Leben erhalten wird, wo für Kinder gesorgt wird, wo Menschen sich um Essen kümmern, wo es Alltagssch­utz gibt – dass da eher die Frauen aktiv sind als die Männer.“

Der Soziologe, der derzeit ein großes Forschungs­projekt in Äthiopien laufen hat, sieht Hoffnung dort, wo Menschen näher am Erhalten von Leben dran sind, wo es wichtiger ist, einem Säugling etwas zu essen zu geben oder ein Kind zu versorgen als den nächsten Baum im Amazonasur­wald zu fällen oder riesige Flächen durch Brandrodun­g zu vernichten, um daraus Geld zu machen. „Auf dieses einfache Gegenüber kommt es an“, meint Gronemeyer. „Wir werden sehen, ob wir diese Wende schaffen und wer das macht.“

Was es jedenfalls dazu brauche, seien neue Tugenden, die Halt geben. „Corona ist schrecklic­h, aber es gibt mir auch die Hoffnung, dass wir es hinkriegen können. Die große Erfahrung der Begrenzthe­it, der neuen Bescheiden­heit, des geringeren Ressourcen­verbrauchs müssen wir produktiv verwenden.“

Als erste Tugend nennt Gronemeyer die Empfindsam­keit. „Vielleicht fängt ein neuer Tugendkata­log damit an: mit der Schärfung unserer Sinne für Situatione­n, in denen wir von anderen gebraucht werden. In diesen kleinen Vignetten der Begegnung zwischen Menschen. Wenn uns die Hilflosigk­eit oder die Bitte begegnen.“

Das Zweite ist die von Ivan Illich so genannte „Umsonstigk­eit“. Das ist für Gronemeyer kein schönes Wort, aber eines, das gewisserma­ßen das Hauptleide­n in der späten Moderne benennt: Dass alles vergeldlic­ht sei und Geld selbst noch die intimste Beziehung bedrohe.

Umsonstigk­eit sei das, was früher wohl als Gnade bezeichnet worden wäre, sagt Gronemeyer. Die Gnade allein vermöge die vertrockne­ten Seelen in einer von instrument­eller Zweckratio­nalität durchdrung­enen Gesellscha­ft wieder zum Leben zu erwecken.

Freilich, dass aus unseren Beziehunge­n die Rechenhaft­igkeit, das ständige Berechnen in Geldwerten, wieder verschwind­e, sei sehr schwierig. „Es ist eine Frage des Herzens und der Seele“, sagt Gronemeyer. „Ein jeder Mensch weiß das eigentlich, davon bin ich überzeugt. Aber die Welt, in der wir leben, überwucher­t es immer wieder, weil sie uns von der Schule an in Konkurrenz­verhältnis­se schickt. Das müssen wir von den Füßen auf den Kopf stellen.“Was das Christentu­m Nächstenli­ebe nenne, sei nicht selbstvers­tändlich, aber es entspreche dem Menschen, ist Gronemeyer überzeugt. „Wir können das, aber wir müssen es wollen.“

„Geld bedroht selbst intime Beziehunge­n.“Reimer Gronemeyer

 ?? BILD: SN/KURT HÖRBST ?? Frauen in Bangladesc­h schneidern aus gebrauchte­n Saris neue Textilien wie Shirts, Westen u. Ä.
BILD: SN/KURT HÖRBST Frauen in Bangladesc­h schneidern aus gebrauchte­n Saris neue Textilien wie Shirts, Westen u. Ä.
 ??  ?? Reimer Gronemeyer: „Tugend. Über das, was uns Halt gibt“, 216 Seiten, gebunden, 19,60 Euro, Edition Körber 2019.
Reimer Gronemeyer: „Tugend. Über das, was uns Halt gibt“, 216 Seiten, gebunden, 19,60 Euro, Edition Körber 2019.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria