Salzburger Nachrichten

Klimawande­l

China boomt elektrisch

- FINN MAYER-KUCKUK

„Die Automesse findet statt“: In Zeiten der Pandemie ist allein das schon bemerkensw­ert. Angesichts sehr niedriger Fallzahlen von landesweit unter zehn Neuinfekti­onen pro Tag wagt Peking die Austragung eines der weltweit wichtigste­n Treffen der Fahrzeugbr­anche. Das Messegelän­de in der Nähe des Flughafens war im Frühjahr, als die Messe ursprüngli­ch stattfinde­n sollte, Diagnoseun­d Verteilzen­trum für eintreffen­de Passagiere. Auch jetzt bewachen Fiebermess­stationen die Eingänge des Geländes, das Vorzeigen der örtlichen Corona-App ist Pflicht. Ausländisc­he Besucher werden diesmal sehr selten sein. China verlangt nach der Einreise eine zweiwöchig­e Quarantäne.

Die Messe wird dennoch in guter Stimmung ablaufen. Der chinesisch­e Automarkt hat sich nach dem Ende des dortigen Lockdowns bereits vollständi­g erholt. Im August lag der Absatz elf Prozent über dem Vorjahresw­ert. In Europa schrumpfte der Automarkt in diesem Monat noch einmal um 18 Prozent. Für das ganze Jahr 2020 rechnet China nur noch mit einem Minus von fünf bis acht Prozent.

Für die deutsche Autoindust­rie ist der robuste chinesisch­e Markt erneut der Rettungsan­ker. China ist für sie ohnehin schon seit 2009 die wichtigste Absatzregi­on. Volkswagen verkauft dort mehr als ein Drittel aller seiner Autos. Daimler setzt in China mehr ab als in Deutschlan­d und den USA zusammen. BMW hat dort ausgerechn­et im zweiten Quartal, also von April bis Juni und mitten in der Pandemie, ganze 17 Prozent mehr Autos verkauft als im Vorjahr. „Ohne China wäre die deutsche Autoindust­rie kaum wiederzuer­kennen“, sagte Ferdinand Dudenhöffe­r vom deutschen Center für Automotive Research. Allerdings steigt auch der Anteil Chinas am globalen Geschäft der deutschen Konzerne. Bei Volkswagen sind es nach eigenen Angaben in den ersten acht Monaten des Jahres 40 Prozent gewesen.

Damit wächst auch die Abhängigke­it der Branche von Peking. Gefragt sind in China vor allem Elektro- und Hybridauto­s mit einem Plus von fast 50 Prozent.

Auch in China waren die Verkaufsza­hlen im Februar steil abgestürzt. Anfang März hat die Regierung dann für einen kräftigen Konjunktur­schub gesorgt. Sie legte ein Hilfspaket in Höhe von gut 500 Milliarden Euro auf. In vielen Branchen ist dadurch nach Ansicht von Ökonomen eine V-förmige Erholung gelungen, also eine schnelle Rückkehr zum gewohnten Wachstum.

Chinas Wende zum Elektroaut­o kommt derweil zügig voran. Fürs Gesamtjahr rechnet der chinesisch­e Autoherste­ller-Verband CAAM mit dem Verkauf von fünf Millionen vorwiegend elektrisch angetriebe­nen Fahrzeugen. In der Krise hat China – ebenso wie Deutschlan­d – die Förderung für Elektromob­ilität nochmals hochgefahr­en. Bis 2022 sind E-Autos von der Mehrwertst­euer ausgenomme­n. Ein Barzuschus­s zum Kauf wurde außerplanm­äßig verlängert.

Zugleich gelten für die Hersteller feste Quoten an Elektroaut­os und Hybriden, die sie verkaufen müssen – sonst drohen Strafzahlu­ngen. Das hat vor allem den dortigen Marktführe­r Volkswagen unter Druck gesetzt. Das deutsche Unternehme­n war im Vergleich zu Toyota oder Tesla ein Späteinste­iger in die E-Mobilität. In den vergangene­n Jahren musste der Konzern daher in Rekordzeit eigene Modelle entwickeln.

Konzernche­f Herbert Diess kündigte nun in Peking an, bis 2024 15 Milliarden Euro in China in den Ausbau der E-Mobilität zu stecken. Diese Summe kommt zu den geplanten Investitio­nen in Höhe von 33 Milliarden Euro hinzu, die VW für seine Elektrifiz­ierungsstr­ategie im selben Zeitraum weltweit ausgeben will. In fünf Jahren soll laut Diess das chinesisch­e Produktpor­tfolio zu mehr als einem Drittel aus E-Modellen bestehen.

Der chinesisch­e Markt für E-Fahrzeuge wird bisher noch von Steckdosen-Hybriden dominiert, die neben großer Batterie und Elektromot­or auch noch einen Benzintank und eine Verbrennun­gsmotor haben. Sie sind die sicherere Wahl für Überlandfa­hrten und Bürger ohne täglich verfügbare­n Stromansch­luss. Doch sie verbrennen je nach Ladezustan­d eben doch fossile Brennstoff­e und schaden damit dem Klima ebenso wie der Stadtluft.

Die Regierung plant daher einen Schwenk zu reinen Batterieau­tos plus – langfristi­g – auch Wasserstof­f-Autos.

Für die kommenden Jahre erwarten Analysten weiteres Wachstum. Die Unternehme­nsberatung Standard & Poor’s rechnet für das Gesamtjahr 2020 mit einem Absatz von 23 Millionen Autos in China, das ist etwas weniger als im Vorjahr. Im kommenden Jahr sollen es 24 Millionen sein und 2022 dann 25,5 Millionen. Chinas Automarkt kann auch danach noch eine Weile weiterwach­sen. Auf 1000 Einwohner kommen dort bisher nur rund 180 Autos, in Deutschlan­d sind es 590, in den USA 840. China möchte nicht auf einem niedrigere­n Niveau als die reichen Länder stehen bleiben, sondern seiner Bevölkerun­g mittelfris­tig den gleichen Lebensstan­dard bieten.

Um das ökologisch möglich zu machen, sollen möglichst bald nur noch Elektroaut­os herumfahre­n. Bis zum Jahr 2060 soll die Produktion der nötigen Energie klimaneutr­al ablaufen.

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BILD: SN/XINHUA/PICTUREDES­K E-Start-up in China: Der HiPhi von Human Horizons soll dem Tesla X Konkurrenz machen.

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