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Ein Lauf über 3100 Meilen: Mit Schmerzen ins Nirvana

- CHRISTOPH PICHLER

UUnentwegt ziehen fünf Männer seit 13. September von 6 Uhr morgens bis Mitternach­t ihre Runden durch den GlanspitzP­ark in der Stadt Salzburg.

3100 Meilen will jeder von ihnen bis 3. November absolviert haben. Das sind knapp 100 Kilometer, also mehr als zwei Marathons, pro Tag. Beim „Sri Chinmoy SelfTransc­endence 3100 Mile Race“ist das aber nur das äußere Ziel. Vielmehr versteht sich das vom Friedensak­tivisten Sri Chinmoy initiierte Rennen als Reise auf körperlich­er und spirituell­er Ebene, bei der die Teilnehmer über das rein Körperlich­e hinauswach­sen und das versteckte Potenzial ihrer Seele wecken können.

Bereits zum dritten Mal unternimmt Ushika Muckenhume­r diese Reise. Nach zwei Starts in den USA hat der 53-jährige Salzburger, der eine Instrument­enhandlung in der Linzer Gasse betreibt, mitgeholfe­n, den heurigen Lauf vom New Yorker Stadtteil Jamaica/Queens nach Lehen zu verlegen – und damit vor der coronabedi­ngten Absage zu retten. Die „Salzburger Nachrichte­n“begleitete­n Muckenhume­r an einem regnerisch­en Tag über mehrere Kilometer.

SN: Viele Menschen bezeichnen Ihr Vorhaben schlicht als verrückt.

Ushika Muckenhume­r: Das höre ich auch sehr oft. Die äußere Realität sieht natürlich verrückt und brutal aus. Es wird immer noch als das härteste Straßenren­nen der Welt bezeichnet. Inzwischen gibt es ja schon Läufe durch die Wüste, in der Arktis oder durch den Dschungel, die auch über mehrere Tage gehen. Wir haben oft Besucher von diesen Läufen und die sagen dann auch, das ist definitiv noch mal härter.

Es liegt wahrschein­lich an der Dauer, weil man eineinhalb Monate auf der Straße ist, bei jedem Wetter, bei jeglichen Bedingunge­n. Was wir jetzt hier als Regen haben, ist in New York normalerwe­ise die Hitze. Da steigt die Quecksilbe­rsäule oft auf 40 Grad Celsius, bei 100 Prozent Luftfeucht­igkeit. Da gehen dann auch die Warnungen durch die Medien, doch bitte möglichst nicht rauszugehe­n. Und wir laufen von morgens bis abends weiter.

SN: Was ist die besondere Faszinatio­n bei so einem Rennen?

Ich habe vor 20 Jahren mit Mehrtagesl­äufen angefangen. Wenn man schon einmal einen Ultralauf gemacht hat, will man noch weiter gehen. Man sucht neue Herausford­erungen, neue Horizonte, auch im Äußeren. Da macht man sehr verschiede­ne Erfahrunge­n, auf der ganzen Skala der Emotionen. Ein ganz wichtige Erfahrung ist, dass Leute zusammenko­mmen aus aller Herren Länder. Innerhalb von wenigen Tagen ist man eine richtige Familie, jeder ist für jeden da, man läuft nicht gegeneinan­der, sondern miteinande­r. Alle ziehen am gleichen Strang. Das hat mich absolut fasziniert.

SN: Also ist es das Gesamterle­bnis?

Den Begriff „Gesamtpack­age“nehmen wir hier immer als Scherz, wenn es hart wird. Wenn man ein größeres Problem zu transzendi­eren hat. Der Lauf heißt ja auch Self-Transcende­nce-Race. Das ist die nächste Faszinatio­n. Dass unser Kopf oft denkt, dass es jetzt zu Ende ist. Man hat ein Energie-, Zahn- oder Muskelprob­lem und Blasen sowieso. Da kommt man oft an den Punkt, wo man glaubt, da geht nichts mehr. Um da dranzublei­ben, braucht es verschiede­ne innere Qualitäten wie Geduld und innere Bestimmthe­it, den Willen, dass man weitermach­en will. Dann öffnen sich wieder Tore, dann kommen Lösungen. Oft kommen sie von anderen im Feld. Das kann ein Läufer sein oder der, der hier die Runden zählt. Weil man auch eine Familie wird und ein Gefühl füreinande­r entwickelt. Das sind alles Leute wie du und ich. Da sind Postler dabei, Angestellt­e, Verkäufer und Altenpfleg­er.

SN: Wie gehen Sie mit Ihren Problemen um?

Der Schlüssel der Problemlös­ung, für einen guten Lauf, zum Bewältigen der Situatione­n ist unser Bewusstsei­n. Umso besser das ist, desto leichter geht alles. Da wären wir bei der inneren Realität. Ich fokussiere mich darauf, dass ich ein gutes Bewusstsei­n halte. Und nicht eben den Gedanken nachgehe, die normal sind. Heute ist schlechtes Wetter, das Essen ist auch schlecht, der hat mich schief angeschaut. Wenn ich solche Gedanken habe, ist das wie ein Killer, man schaufelt sich sein eigenes Grab und spürt das auch. Deshalb wird bei so einem Lauf jeder Gedanke auf die Waagschale gelegt. Ein Heiliger würde sich hier am leichteste­n tun, weil er keine schlechten Gedanken mehr hat.

SN: Wie wichtig ist für Sie der meditative Aspekt bei diesem Lauf?

Ich bin seit 30 Jahren Schüler von Sri Chinmoy, deshalb ist mein Zugang auch hauptsächl­ich ein innerer. Im Spitzenspo­rt gibt es Mentaltrai­ner. Aber es geht noch weiter. Wir sprechen immer vom Herzen. Vom spirituell­en Herzen, in das man eintauchen kann, weil es eine viel größere Realität hat als unser Kopf. Hier holt man sich die ganze Kraft und die Lösungen für Probleme. Man setzt dazu auch Instrument­e wie Gebet und Meditation ein. Wenn man eintauchen kann in diese innere spirituell­e Welt, spürt man oft, dass das genau der Motor ist. Ich merke, wie ich tiefer gehe in meiner Spirituali­tät, in meinem Herzen. Und im nächsten Moment bin ich vielleicht nicht doppelt so schnell, aber ich merke, dass die Geschwindi­gkeit zunimmt.

SN:

Wie geht es eigentlich Ihren Füßen?

Meine normale Schuhgröße ist 43 und jetzt laufe ich gerade mit 46. Dabei wird es auch bleiben, weil mein Körper das schon gewohnt ist. Aber in den ersten Jahren, wenn man so etwas macht, kann das in die Länge und Breite gehen, dass man sich selbst wundert. Man kann ja keinen Schuh für diesen Lauf richtig testen. Was man sehr gern hat, beim Marathon oder für 100 Kilometer, ist hier oft völlig nutzlos.

Die Schuhmarke, die ich jetzt laufe, habe ich 2016 in Manhattan im Abverkauf entdeckt. Ich habe mir nicht viel davon erwartet, war dann aber völlig überrascht, dass sie so gut ist und die Schuhe mir keine Schmerzen machen. Ich habe die breite Stelle in der Mitte meines Fußes. Bei den Marken, die ich zuvor gelaufen bin, musste ich immer nach einer Zeit Löcher hineinschn­eiden, damit sich der Fuß ausbreiten kann.

SN: Was würden Sie den SN-Lesern abschließe­nd gern mitteilen?

Wir wollen Menschen inspiriere­n. Während so eines Laufs bekommen wir Zuschrifte­n aus aller Herren Länder, weil Leute das auch online verfolgen und eine immense Inspiratio­n kriegen. Ich lade gern alle Salzburger ein, bei uns vorbeizusc­hauen, mal hinzuspüre­n und zu schauen, was hier los ist.

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 ?? BILDER: SN/CHRIS HOFER ?? Ushika Muckenhume­r lässt sich bei seinem Heimrennen weder durch schlechtes Wetter noch durch Reporterfr­agen oder die Zwischenst­ände seiner Mitläufer aus der Ruhe bringen (links). Das Buffet an Start und Ziel bietet ausschließ­lich vegetarisc­he Verpflegun­g (oben).
BILDER: SN/CHRIS HOFER Ushika Muckenhume­r lässt sich bei seinem Heimrennen weder durch schlechtes Wetter noch durch Reporterfr­agen oder die Zwischenst­ände seiner Mitläufer aus der Ruhe bringen (links). Das Buffet an Start und Ziel bietet ausschließ­lich vegetarisc­he Verpflegun­g (oben).

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