Geist & Welt
Was Bibel und Koran über Homosexuelle zu sagen haben
ANGELIKA WALSER
Vor einigen Monaten haben sich in Polen 96 Gemeinden, 36 Landbezirke und vier Verwaltungsbezirke zur sogenannten LGBTfreien Zone erklärt.
Mit durchgestrichener Regenbogenfahne demonstrieren sie öffentlich, dass lesbische (L), homosexuelle (Gay), bisexuelle (Bisexual) oder Transgender-Personen (T) bei ihnen unerwünscht sind. An vielen Orten unterstützen Mitglieder der katholischen Kirche diese Aktion. Sie berufen sich dafür auf den Weltkatechismus, der – entgegen humanwissenschaftlichen Befunden – Homosexualität als „schlimme Abirrung“(2357) verurteilt und dabei die Bibel zitiert, u. a. Gen 19, 1–29 („Sodom und Gomorra“), und Röm 1, 26–27. Hier bezeichnet der Apostel Paulus in einer prophetischen Gerichtsrede gegen alle Nicht-Juden Homosexualität als „widernatürlich“.
Die Reinheitsvorstellungen aus dem oben zitierten Buch Levitikus, die der Abgrenzung gegenüber „heidnischer“Lebensart dienen und sexuelle Verfehlungen insgesamt als Symptom und Folge der Verehrung anderer Götter begreifen, sowie die Schöpfungsmythen liefern Paulus als gebürtigem Juden den normierenden Rahmen für sein Urteil: In der Anbetung des Geschöpfs statt in der Anbetung des Schöpfers äußere sich „moralische Verkommenheit“, entspreche eine „Sexualität gegen die Natur“dem Vertauschen von Wahrheit und Lüge. Reproduziert wird hier das stereotype jüdische Vorurteil gegen „heidnische Lasterhaftigkeit“sowie das Ziel der alttestamentlichen Verbote in Lev 18 und 20: das Überleben der eigenen Religionsgemeinschaft zu sichern.
Dieses Ziel beeinflusst sowohl frühjüdisches Schrifttum als auch später die christliche Ehelehre. So schreibt Flavius Josephus in seiner Schrift „Contra Apionem“(ca. 100 n. Chr.): „Das Gesetz erkennt nur den naturgemäßen Verkehr mit der Frau an, und zwar zum Zweck der Kinderzeugung; den Beide aber unter Männern verdammt es.“Tatsächlich ist es also die Tradition des Naturrechts mit seiner Fixierung auf Fortpflanzung, die nach wie vor politische Munition für die Diskriminierung von Homosexuellen liefert. Den Autoren der Heiligen Schrift war das heutige Verständnis von Homosexualität – gleichgeschlechtliche Liebe (!) – schlichtweg nicht bekannt! Paulus’ vermeintliche Absage an lesbischen Geschlechtsverkehr ist nach heutigem Stand der Exegese viel eher eine Kritik an der Praxis der Empfängnisverhütung und damit erneut ein Appell, Nachwuchs zu zeugen. Gen 19, 1–29, bezieht sich ebenfalls weder auf heutige Lebensverhältnisse noch auf sexuelle Identitäten und Orientierungen. Hier geht es um den Bruch der Gastfreundschaft und die Demütigung eines Fremden (Lot) samt seinen verdächtigen Gästen. Thema ist nicht Lustgewinn oder Liebe, sondern Machtdemonstration durch aufgezwungene Penetration – ein Gewaltakt, der in der gesamten altorientalischen Welt die eigene Überlegenheit unter Beweis stellen sollte.
Im Hinblick auf die menschenrechtsverachtenden Folgen veralteter Lehren (siehe Polen) fordern weltweit Theologinnen und Theologen sowie neuerdings auch Bischöfe eine Revision des Katechismus. Dabei muss endlich zur Kenntnis genommen werden, dass (a) die Heilige Schrift keine Aussagen zum heutigen Verständnis von Homosexualität macht und (b) die Sexualwissenschaft seit Beginn der 1970er-Jahre (!) Homosexualität als „Normvariante menschlicher Beziehungsfähigkeit“anerkennt. Hier gibt es nichts zu therapieren, vielmehr zu akzeptieren. Für meine Studierenden ist Stephan Goertz (Hg.): „Wer bin ich, ihn zu verurteilen?“(2015) eine Pflichtlektüre.
MOUHANAD KHORCHIDE
Das Wort Homosexualität kommt im Koran nicht vor. Fragt man dennoch, wie der Koran zur Homosexualität steht, wird in der Regel auf die Erzählung von Lot verwiesen, der im Koran als ein Gesandter Gottes dargestellt wird. Die Geschichte von Lot und seinem Volk, die in etwa der biblischen Sodom-Erzählung in der Genesis entspricht, wird im Koran in unterschiedlichen Varianten erzählt. In einigen dieser Koranpassagen wirft Lot den Männern von Sodom vor, die eigenen Ehegattinnen zu vernachlässigen und sich Männern begehrlich zu nähern – ein Vergehen, das keiner in der Welt zuvor begangen habe. Diese Erzählung wurde in der mittel- und spätmekkanischen Phase wiederholt verkündet, also zu einem Zeitpunkt, als Mohammed und seine Anhänger mehrfach verfolgt und bedroht wurden.
Die koranischen Stellen zu Lot haben nicht das Thema Homosexualität bzw. die Warnung davor als Schwerpunkt, sondern sind an Mohammed selbst gerichtet, um ihm Mut zu machen, denn auch andere Gesandte Gottes vor ihm haben es nicht leicht mit ihren Völkern gehabt, auch sie wurden verfolgt und belästigt. Am Ende hat Gott sie jedoch errettet und deren Feinde vernichtet.
Die traditionelle Exegese interpretiert den obigen Vers und ähnliche Verse als eindeutige Stellungnahme des Korans gegen Homosexualität. Diese sei eine große Sünde, die den Zorn Gottes auf sich ziehe. Diese Ansicht ist bis heute sehr stark in der islamischen Tradition verbreitet. Die meisten klassischen islamischen Rechtsschulen fordern die Todesstrafe (zum Teil durch Steinigung) für Homosexualität, auch wenn der Koran dies nicht vorsieht. Tod durch Steinigung wurde wahrscheinlich vom Judentum in das islamische Recht übernommen.
Obwohl die meisten Rechtskompendien einen Paragrafen zu Homosexualität zwischen Männern enthalten, gilt dies nicht für Homosexualität zwischen Frauen. Diese wurschlaf
meist nicht so ernst genommen, wahrscheinlich, weil keine Penetration erfolgt.
Auch in der Moderne betrachten konservative Exegeten gleichgeschlechtlichen Verkehr als Sünde und sprechen Todesstrafen gegenüber Homosexuellen aus. Dazu gehören Yusuf al-Qaradawi (geb. 1926) und Taha al-Alwani (geb. 1935).
Moderne Exegeten und Gelehrte sehen jedoch in der koranischen Lot-Erzählung keine Aussage über Homosexualität. Denn es handelt sich, wie der Koran selbst erzählt, um verheiratete Männer. Diese tun anscheinend etwas ganz Neues, „was keiner in der Welt je zuvor getan hat“(Sure 7:80; 29:28). Dies passt nicht zu dem, was wir heute über Homosexualität wissen, die es von jeher gab. Nach der koranischen Darstellung wollte das Volk Lots dessen Gäste vergewaltigen, nicht aus sexuellen Gründen, sondern weil sie den Propheten Lot und seine Autorität ablehnten und es ebenfalls ablehnten, seinen Gästen oder Fremden ein Gastrecht zu gewähren.
Der Koran kritisiert hier auch eine alte hellenistische, zum Teil von den Arabern übernommene patriarchalische Tradition, nach der, analog zur rangniedrigeren Frau, der penetrierte Mann, Jüngling oder Knabe unterlegen war. Während die Penetrierenden mit ihren Eroberungen und Vergewaltigungen angeben konnten, war „es“für Verführte und Vergewaltigte schändlich. Die koranische Erzählung verurteilt daher nur die Vergewaltigung, Unterdrückung und Erniedrigung, aber nicht Homosexualität als solche. Für unsere Gesellschaft ist es wichtig, Menschen und ihre Rechte unabhängig von ihrer sexuellen Ausrichtung würdevoll anzuerkennen und gleichberechtigt zu behandeln. Diskriminierende theologische Auslegungen sind zu verwerfen.
„Lot sprach zu seinem Volk: Wollt ihr denn etwas so Schändliches begehen, worin noch niemand euch zuvorkam von den Weltbewohnern? Siehe, aus Lust verkehrt ihr mit den Männern statt mit Frauen. Nein, ihr seid ein Volk, das es zu weit treibt.“
(Koran, Sure 7:80-81)