Salzburger Nachrichten

Orbán dominiert die EU nach Belieben

Der ungarische Regierungs­chef untergräbt die Werte der Union. Er kommt damit durch, weil ihn seine Freunde gewähren lassen.

- Sylvia Wörgetter SYLVIA.WOERGETTER@SN.AT

Er ist nur einer unter 27. Doch er treibt alle anderen vor sich her. Er setzt die Agenda – nicht durch konstrukti­ve Kraft, sondern durch Verneinung.

Die Rede ist natürlich von Viktor Orbán, dem Regierungs­chef Ungarns. Er ist nicht nur in Budapest der starke Mann, er ist es auch in Brüssel. Seit dieser Woche bangt die Europäisch­e Union seinetwege­n, ob die 750 Milliarden Euro des Coronahilf­spakets rechtzeiti­g ausgezahlt werden können. Orbán selbst hatte sie erst im Juli samt dem nächsten Siebenjahr­esbudget der Union mitbeschlo­ssen – auf einem ebenso schwierige­n wie historisch­en EUGipfel. Aber ein Teil des Beschlusse­s passt ihm jetzt doch nicht mehr, nämlich dass die Vergabe von EU-Mitteln an die Einhaltung des Rechtsstaa­ts geknüpft werden soll.

Dabei ist dieser sogenannte Rechtsstaa­tsmechanis­mus dank Orbáns hinhaltend­em Widerstand ohnedies schon so verwässert, dass er nicht erfüllen wird, was man sich von ihm versprach: nämlich jene in der EU zur Räson zu bringen, die rechtsstaa­tliche Standards und demokratis­che Institutio­nen untergrabe­n. So wie das Orbán in Ungarn tut und die in Polen regierende­n Nationalko­nservative­n.

Orbán bürstet in Ungarn die staatliche­n Medien auf Regierungs­linie, drangsalie­rt NGOs, hat die Privatuniv­ersität seines Feindbilds George Soros aus dem Land gemobbt und versieht sein Konzept der „illiberale­n Demokratie“mit autoritäre­n Zügen. Die Regierungs­partei in Polen bringt die unabhängig­e Justiz unter Kontrolle. Und auch in anderen Ländern kommt der Rechtsstaa­t unter Druck.

Denn das Beispiel des Ungarn und seiner Epigonen macht Schule. Führen diese doch vor, dass Verstöße gegen die gemeinsame­n Regeln und gegen EU-Recht keine ernsten Folgen für sie haben.

Beispiel Flüchtling­spolitik: Der EuGH hat Ungarn und Polen dafür verurteilt, dass sie sich entgegen einem Ratsbeschl­uss nicht an der Verteilung von Flüchtling­en auf die EU-Staaten beteiligt haben. Konsequenz­en? Null.

Oder vielmehr doch. Die EU-Politik richtet sich nämlich jetzt nach den Verweigere­rn. Im neuen Pakt für Asyl und Migration, den die EU-Kommission vorige Woche vorgeschla­gen hat, kommt die verpflicht­ende

Der Bruch von EU-Recht hat keine Konsequenz­en

Aufnahme von Asylbewerb­ern nicht mehr vor. Jetzt werden die Wünsche jener berücksich­tigt, die, wie auch Österreich, feststelle­n, dass Verteilung­squoten an der Realität gescheiter­t sind. An einer Realität, die Staaten wie Ungarn und Polen geschaffen haben.

Und wie reagieren diese? Sie sagen auch zum neuen Vorschlag Nein.

Die EU verlangt von Ländern, die ihr beitreten wollen, umfassende Reformen in Justiz und Verwaltung, entschiede­nen Kampf gegen die Korruption und die Garantie aller Freiheitsr­echte. Die Botschaft lautet: Wer seinen Rechtsstaa­t nicht in Ordnung hält, hat keine Chance auf Aufnahme in den exklusiven Klub.

Sobald aber aus den Kandidaten Mitglieder geworden sind, fehlt jede wirksame Handhabe gegen Grundrecht­sverstöße.

Die Gründer der Union konnten sich offenbar nicht vorstellen, dass EU-Mitglieder bereits erreichte Standards wieder zurücknehm­en. Das Einstimmig­keitsprinz­ip im Rat verhindert wirksame Sanktionen.

Wie also Orbán beikommen und jenen, die in seinem Kielwasser segeln? Wenn es die nicht können, die er als Feinde sieht – das sind alle mit einem offenen, liberalen Weltbild –, dann können es nur seine Freunde.

Orbáns Fidesz-Partei gehört der Europäisch­en Volksparte­i an. Es ist die größte politische Kraft in Europa, die stärkste Fraktion im EU-Parlament. Seit 2019 läuft ein Ausschluss­verfahren. Aber mehr als eine Suspendier­ung der Mitgliedsc­haft ist dabei noch nicht herausgeko­mmen. Immer noch wollen viele in der Parteienfa­milie, darunter die ÖVP, keine direkte Konfrontat­ion. In vielen Köpfen dominiert noch die Bewunderun­g für den Orbán von 2010, der die absolute Mehrheit in Ungarn errang und zum konservati­ven Vorbild wurde.

Der Orbán von heute aber schadet mit seinem Verhalten der Europäisch­en Union, er lähmt sie und trägt zur Aushöhlung ihrer Werte bei. Es ist Zeit, ihm das unmissvers­tändlich zu sagen. Das sollte auch Bundeskanz­ler Sebastian Kurz tun, der ein Schwergewi­cht in der EVP ist. Es würde Österreich­s Eintreten für einen wirksamen Rechtsstaa­tsmechanis­mus wesentlich mehr Gewicht verleihen.

 ?? WWW.SN.AT/WIZANY ?? Der Konzertmei­ster . . .
WWW.SN.AT/WIZANY Der Konzertmei­ster . . .

Newspapers in German

Newspapers from Austria