Salzburger Nachrichten

„Hohe Verschuldu­ng ist ohne Alternativ­e“

Finanzmini­ster Gernot Blümel präsentier­t am Mittwoch ein Budget mit tiefroten Zahlen. Der Ökonom Martin Kocher, Chef des Instituts für Höhere Studien, sagt, was er davon hält.

- ANDREAS KOLLER

Am Mittwoch wird das Budget mit tiefroten Zahlen präsentier­t. Ökonom Martin Kocher, Chef des Instituts für Höhere Studien, sagt, was er davon hält.

SN: Der Finanzmini­ster wird am Mittwoch ein Budget mit Rekorddefi­zit vorlegen. Ist ein solches Defizit vertretbar?

Martin Kocher: Aufgrund der außergewöh­nlichen Lage ist es richtig, auch noch im kommenden Jahr ein hohes Defizit in Kauf zu nehmen. Denn es geht darum, die wirtschaft­lichen Folgen der Pandemie einzudämme­n. Das kann sich Österreich in der jetzigen Situation leisten, auch wenn es langfristi­g eine Belastung für den Staatshaus­halt ist.

SN: Es gibt also keine Alternativ­e zur massiven Verschuldu­ng?

Die Alternativ­e wäre, jetzt zu sparen und Unternehme­n in die Insolvenz und Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er in die Arbeitslos­igkeit zu schicken. Das wäre langfristi­g noch teurer.

SN: Niemand weiß, wie lange die Coronakris­e noch dauern wird. Ist eine solche Budgetpoli­tik auch noch ein zweites Jahr durchzuhal­ten?

Ich denke, dass wir im ersten Halbjahr des kommenden Jahres eine Strategie festlegen müssen. Zu diesem Zeitpunkt wissen wir hoffentlic­h schon, ob uns die Pandemie in wirtschaft­licher Hinsicht noch länger beschäftig­en wird. Es muss also entschiede­n werden, wie wir langfristi­g mit den Folgen dieser Pandemie umgehen. Denn mehrere Jahre im jetzigen Modus Budgetpoli­tik zu machen wäre eine massive Belastung für den Bundeshaus­halt, die ich mir nicht vorstellen kann.

SN: Ein weiteres Budget mit solchen Zahlen ist also nicht möglich?

Wir haben in diesem Jahr (2020) wahrschein­lich ein Budgetdefi­zit von zehn oder elf Prozent. Nächstes Jahr wird das Defizit bereits geringer sein. Es geht also ohnehin zurück. Denn die ganz große Belastung war der Lockdown im Frühjahr. Eine Fortführun­g der großen Budgetdefi­zite wäre aus meiner Sicht sehr kritisch für die langfristi­ge Finanzierb­arkeit des Staatshaus­halts.

SN: Momentan können sich die Staaten sehr günstig und sehr langfristi­g finanziere­n, mit teilweise hundertjäh­rigen Anleihen. Muss dieses Geld überhaupt jemals zurückgeza­hlt werden?

Es muss formell natürlich zurückgeza­hlt werden. Doch solange die Zinslast so gering ist, ist auch der Druck, die Staatshaus­halte zu sanieren, sehr gering. Aber dennoch verunmögli­chen die Ausgaben für die Zinslast und die Pandemie andere Staatsausg­aben, die langfristi­g viel notwendige­r wären.

SN: Wo soll der Staat budgetäre Schwerpunk­te setzen? Wo ist die Hebelwirku­ng des eingesetzt­en Geldes am größten?

Das hängt davon ab, was das Ziel ist. Wir hatten ja verschiede­ne Phasen: Zunächst ging es darum, Arbeitslos­igkeit und die Insolvenz von Unternehme­n

zu verhindern und Liquidität zur Verfügung zu stellen. Das hat gut funktionie­rt. Der zweite Schritt bestand darin, Nachfrage zu stimuliere­n. Hier wird man erst sehen, wie gut es funktionie­rt hat, aber man hat jedenfalls den richtigen Hebel angesetzt – denken Sie an die Investitio­nsprämie, die degressive Abschreibu­ng, die Entlastung der Niedrigloh­nbezieher. Der nächste Schritt muss es jedenfalls sein, Zukunftswa­chstum zu unterstütz­en. Hier geht es um Klimaschut­z und Digitalisi­erung. So kann man Konjunktur­stützung und gleichzeit­ig langfristi­ges und nachhaltig­es Wachstum generieren.

SN: Derzeit werden die Märkte mit billigem Geld geschwemmt. Besteht dadurch die Gefahr einer Geldentwer­tung?

Im Moment gibt es dafür keine Anzeichen. Der Wechselkur­s des Euro zum Dollar ist zuletzt sogar gestiegen. Es gibt derzeit keine Hinweise auf eine drohende Inflation, im Gegenteil. Wenn langfristi­g das Wachstum zunimmt, kann natürlich ein gewisser Druck entstehen. Die Geldpoliti­ker vertreten aber die Ansicht, es sei leichter, eine Inflation zu verhindern als eine Deflation. Ich würde mir diesbezügl­ich in den nächsten Jahren keine großen Sorgen machen.

SN: Worin sehen Sie momentan die größte Gefahr für die Weltwirtsc­haft?

Als Folge der Pandemie besteht die Gefahr, dass sich die Staaten immer stärker einigeln und protektion­istische Maßnahmen ergreifen. Das wäre langfristi­g sehr schädlich. Wir hoffen, dass diese Tendenz, die schon vor der Pandemie beispielsw­eise in den USA oder im Vereinigte­n Königreich zu beobachten war, wieder zurückgeht. Sonst wird es für Österreich als kleines exportorie­ntiertes Land schwierige­r.

Martin Kocher, geboren 1973 in Salzburg, ist Professor für Volkswirts­chaftslehr­e an der Universitä­t Wien. Er unterricht­ete auch an Universitä­ten in München, Göteborg, Norwich und Brisbane. Vor vier Jahren wurde er zum Chef des Instituts für Höhere Studien bestellt. Gleichzeit­ig ist er Präsident des Fiskalrats, der den Staat in puncto Staatsschu­lden berät.

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BILD: SN/APA/HANS KLAUS TECHT Die Ausgaben für Zinsen hemmen die Investitio­n in Zukunftsbe­reiche, warnt Experte Kocher.
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