„Hohe Verschuldung ist ohne Alternative“
Finanzminister Gernot Blümel präsentiert am Mittwoch ein Budget mit tiefroten Zahlen. Der Ökonom Martin Kocher, Chef des Instituts für Höhere Studien, sagt, was er davon hält.
Am Mittwoch wird das Budget mit tiefroten Zahlen präsentiert. Ökonom Martin Kocher, Chef des Instituts für Höhere Studien, sagt, was er davon hält.
SN: Der Finanzminister wird am Mittwoch ein Budget mit Rekorddefizit vorlegen. Ist ein solches Defizit vertretbar?
Martin Kocher: Aufgrund der außergewöhnlichen Lage ist es richtig, auch noch im kommenden Jahr ein hohes Defizit in Kauf zu nehmen. Denn es geht darum, die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie einzudämmen. Das kann sich Österreich in der jetzigen Situation leisten, auch wenn es langfristig eine Belastung für den Staatshaushalt ist.
SN: Es gibt also keine Alternative zur massiven Verschuldung?
Die Alternative wäre, jetzt zu sparen und Unternehmen in die Insolvenz und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die Arbeitslosigkeit zu schicken. Das wäre langfristig noch teurer.
SN: Niemand weiß, wie lange die Coronakrise noch dauern wird. Ist eine solche Budgetpolitik auch noch ein zweites Jahr durchzuhalten?
Ich denke, dass wir im ersten Halbjahr des kommenden Jahres eine Strategie festlegen müssen. Zu diesem Zeitpunkt wissen wir hoffentlich schon, ob uns die Pandemie in wirtschaftlicher Hinsicht noch länger beschäftigen wird. Es muss also entschieden werden, wie wir langfristig mit den Folgen dieser Pandemie umgehen. Denn mehrere Jahre im jetzigen Modus Budgetpolitik zu machen wäre eine massive Belastung für den Bundeshaushalt, die ich mir nicht vorstellen kann.
SN: Ein weiteres Budget mit solchen Zahlen ist also nicht möglich?
Wir haben in diesem Jahr (2020) wahrscheinlich ein Budgetdefizit von zehn oder elf Prozent. Nächstes Jahr wird das Defizit bereits geringer sein. Es geht also ohnehin zurück. Denn die ganz große Belastung war der Lockdown im Frühjahr. Eine Fortführung der großen Budgetdefizite wäre aus meiner Sicht sehr kritisch für die langfristige Finanzierbarkeit des Staatshaushalts.
SN: Momentan können sich die Staaten sehr günstig und sehr langfristig finanzieren, mit teilweise hundertjährigen Anleihen. Muss dieses Geld überhaupt jemals zurückgezahlt werden?
Es muss formell natürlich zurückgezahlt werden. Doch solange die Zinslast so gering ist, ist auch der Druck, die Staatshaushalte zu sanieren, sehr gering. Aber dennoch verunmöglichen die Ausgaben für die Zinslast und die Pandemie andere Staatsausgaben, die langfristig viel notwendiger wären.
SN: Wo soll der Staat budgetäre Schwerpunkte setzen? Wo ist die Hebelwirkung des eingesetzten Geldes am größten?
Das hängt davon ab, was das Ziel ist. Wir hatten ja verschiedene Phasen: Zunächst ging es darum, Arbeitslosigkeit und die Insolvenz von Unternehmen
zu verhindern und Liquidität zur Verfügung zu stellen. Das hat gut funktioniert. Der zweite Schritt bestand darin, Nachfrage zu stimulieren. Hier wird man erst sehen, wie gut es funktioniert hat, aber man hat jedenfalls den richtigen Hebel angesetzt – denken Sie an die Investitionsprämie, die degressive Abschreibung, die Entlastung der Niedriglohnbezieher. Der nächste Schritt muss es jedenfalls sein, Zukunftswachstum zu unterstützen. Hier geht es um Klimaschutz und Digitalisierung. So kann man Konjunkturstützung und gleichzeitig langfristiges und nachhaltiges Wachstum generieren.
SN: Derzeit werden die Märkte mit billigem Geld geschwemmt. Besteht dadurch die Gefahr einer Geldentwertung?
Im Moment gibt es dafür keine Anzeichen. Der Wechselkurs des Euro zum Dollar ist zuletzt sogar gestiegen. Es gibt derzeit keine Hinweise auf eine drohende Inflation, im Gegenteil. Wenn langfristig das Wachstum zunimmt, kann natürlich ein gewisser Druck entstehen. Die Geldpolitiker vertreten aber die Ansicht, es sei leichter, eine Inflation zu verhindern als eine Deflation. Ich würde mir diesbezüglich in den nächsten Jahren keine großen Sorgen machen.
SN: Worin sehen Sie momentan die größte Gefahr für die Weltwirtschaft?
Als Folge der Pandemie besteht die Gefahr, dass sich die Staaten immer stärker einigeln und protektionistische Maßnahmen ergreifen. Das wäre langfristig sehr schädlich. Wir hoffen, dass diese Tendenz, die schon vor der Pandemie beispielsweise in den USA oder im Vereinigten Königreich zu beobachten war, wieder zurückgeht. Sonst wird es für Österreich als kleines exportorientiertes Land schwieriger.
Martin Kocher, geboren 1973 in Salzburg, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Wien. Er unterrichtete auch an Universitäten in München, Göteborg, Norwich und Brisbane. Vor vier Jahren wurde er zum Chef des Instituts für Höhere Studien bestellt. Gleichzeitig ist er Präsident des Fiskalrats, der den Staat in puncto Staatsschulden berät.