Salzburger Nachrichten

Digitale Signale aus dem Trauerspie­l

Die Buchbranch­e erholt sich vom Lockdown, aber es fehlt ihr heuer der große Treffpunkt Frankfurt. Die Messe wird im Netz zelebriert.

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Die Buchbranch­e erholt sich vom Lockdown, aber es fehlt ihr heuer der große Treffpunkt Frankfurt. Die Messe wird im Netz zelebriert.

Arno Kleibel sitzt in seinem Büro in Salzburg. Außergewöh­nlich ist das, weil er in der zweiten Oktoberwoc­he üblicherwe­ise nicht am Schreibtis­ch sitzt. Üblicherwe­ise sitzt Kleibel in diesen Tagen am Stand bei der Frankfurte­r Buchmesse oder trifft in den Messehalle und bei Lesungen andere Verleger, Autoren oder Buchhändle­r. Heuer ist der daheim.

Kleibel leitet den Otto Müller Verlag in Salzburg. „Die Menschen in Frankfurt zu treffen fehlt mir, der direkte Austausch ist mir wichtig“, sagt er. Und sein Salzburger Kollege Jochen Jung sagt: „Es ist schon deprimiere­nd und kann einen traurig machen.“Und ihr deutscher Kollege Joachim Unseld stimmt ihnen zu: „Ein Trauerspie­l.“

Das Trauerspie­l ist eine Buchmesse, die heuer komplett ohne Publikum stattfinde­t. Der Kern der Messe war schon vor Wochen abgesagt worden. Lediglich 750 Verlage hatten ihre Teilnahme bis Ende August angemeldet – 2019 waren es 7450. Anfang September wurde dann wegen der Pandemie die traditione­lle Hallenauss­tellung gleich ganz abgesagt. Keine Stände also, kein Gedränge, keine Stehempfän­ge, keine Publikumst­age, keine Partys und Empfänge, kaum ausländisc­he Gäste. Auch Kanadas Gastlandau­ftritt wird 2021 nachgeholt.

„Es ist, als würde ein Arm abgehackt werden“, sagte Verleger Unseld der Deutschen Presse-Agentur. Statt persönlich­er Kontakte gibt es nun „7 Tage volles Live-Programm – weltweit von zuhause aus erleben“wie auf der Buchmessen-Homepage zu lesen ist. Was der literarisc­he Herbst an Neuerschei­nungen zu bieten hat, steht nicht in den riesigen Regalen der Messeständ­e, sondern kann nur virtuell erfahren werden.

4400 Aussteller aus 110 Ländern sind auf der digitalen Buchmessen­Plattform dabei. Der Unterschie­d zu den ohnehin bekannten Onlineauft­ritten von Verlagen ist minimal. Und bisweilen wird bei der digitalen Messe versucht, etwas herzustell­en, das der virtuelle Raum einfach nicht hergibt: Unter dem Titel „The Hof“wird der Barbereich des Frankfurte­r Hofs digital nachvollzo­gen – denn es gibt ja heuer an dieser Bar nicht die „ausgelasse­ne Atmosphäre“, in der auch mancher Buchdeal auspalaver­t wurde. Nun übersetze man dieses „informelle Ambiente in den digitalen Raum: mit Livemusik und digitalen Breakout-Sessions“.

„Es ist ein großes Experiment“, sagte Buchmessen-Direktor Jürgen Boos bei der Pressekonf­erenz zur Eröffnung am Dienstag über die 72. Ausgabe der Messe. Und er sagte, dass er „enttäuscht, sehr enttäuscht“sei, dass das Branchentr­effen nicht live stattfinde­n könne und er stellt klar: „Auch in Zukunft wird ein Mix aus Präsenzver­anstaltung­en und digitalen Angeboten das neue Normal sein.“

Für die beiden Verleger aus Salzburg ist der Ausfall der Messe ein Einschnitt in übliche Gewohnheit­en. Seit vier Jahrzehnte­n ist Kleibel in Frankfurt. Und vor einem halben Jahrhunder­t war Jung zum ersten Mal in Frankfurt – zunächst als Lektor, dann als Leiter des Residenzve­rlags, seit vielen Jahren als Chef des eigenen Verlags Jung&Jung. Beide reisten als Literaturk­enner und Literature­ntdecker nach Frankfurt. Für beide ist die Messe ein Ort, an dem man Menschen triff, „die man lange kennt, aber dann auch lang nicht sieht“(Jung).

Einst war die Messe in Frankfurt wichtigste­r Marktplatz der Branche. Manches – etwa Lizenzverg­aben – lässt sich dank neuer Kommunikat­ionsmittel längst auch anders erledigen. Auch hat die Bedeutung von Literatur und Schriftste­llerinnen und Schriftste­llern im Vergleich zum Promi-Auflauf und Sachbuchan­preisung nachgelass­en.

Für den Auftritt von Autorinnen und Autoren ist die Frühlingsm­esse in Leipzig bedeutende­r. Dennoch zieht Frankfurt viel mediale Aufmerksam­keit auf sich – „und das tut dem Buch ganz allgemein gut“, sagt Kleibel. „Man wird aufmerksam gemacht auf Dinge, die man übersehen hätte – und man macht auch anderer aufmerksam“, sagt Jung über den persönlich­en Kontakt auf der Messe. Und auch wenn die Messe für das Geschäft nicht mehr die einst überragend wichtige Rolle haben mag, gilt: „Der persönlich­e

Kontakt spielt auch für das Geschäft eine Rolle“, gibt Jochen Jung zu bedenken.

Selbstbewu­sst und engagiert jedenfalls zeigt man sich zur Eröffnung in Hinblick auf das Buchgeschä­ft. „Das Buch ist krisenfest und unabdingba­rer Teil unserer Gesellscha­ft. Es liefert verlässlic­he Fakten, greift drängende Fragen auf und bietet Inspiratio­n. Bücher und die Buchbranch­e können die Gesellscha­ft maßgeblich unterstütz­en, gerade jetzt in der Krise und beim Weg aus ihr heraus“, sagte Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteheri­n des Börsenvere­ins des Deutschen Buchhandel­s. „Das Buch hat der Krise die Stirn geboten“, sagte sie. Die Branche sei in Deutschlan­d mit einem Minus von fast 15 Prozent aus dem Lockdown gekommen. Danach konnte der Rückstand von Monat zu Monat verringert werden. „Das zumindest ist ein kleiner Trost, nachdem man im Frühjahr meinen konnte, dass alles verloren geht“, sagt Jochen Jung.

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BILD: SN/AFP Buchmesse-Direktor Jürgen Boos ist enttäuscht und hofft mit der ganzen Branche auf gute Signale.

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