Salzburger Nachrichten

„Eines ist klar: Die Fallzahlen müssen dramatisch nach unten“

Die Zahl der mit dem Coronaviru­s infizierte­n Menschen steigt. Muss die Politik bald wieder zur härtesten Waffe greifen? Ein Pro und Kontra der Experten.

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SALZBURG. Richard Greil, Primar der III. Medizin des Salzburger Unikliniku­ms, war zu Beginn der Coronakris­e das Gesicht eines konsequent­en Kampfs gegen das neuartige Virus. Mit dem zwischenze­itlichen Rückgang der Erkrankung­en änderte sich auch der Blick der Bevölkerun­g auf die strengen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Das Gefühl, dass die kritische Situation vorbei sei, sagt Greil, sei gewachsen. „Trotz gegenteili­ger Aussagen von der Wissenscha­ft.“

Nun sei es wichtig, sich der Ernsthafti­gkeit der Situation bewusst zu werden. Nicht nur im Tennengau, in ganz Österreich gebe es zu hohe Fallzahlen. „Wir haben derzeit in den meisten Gebieten einen Anteil von vier Prozent an positiven Tests. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei 84. Österreich liegt nach allen Kriterien im roten Bereich.“Zudem sei der Anteil an Infektione­n, die man nicht mehr nachvollzi­ehen könne, bei über 30 Prozent.

Das alles lässt für Richard Greil nur einen Schluss zu: „Es ist ganz klar, die Fallzahlen müssen dramatisch nach unten.“Die Verschärfu­ngen der Maßnahmen in Salzburg waren deshalb aus seiner Sicht absolut richtig. Nicht zuletzt auch aus wirtschaft­lichen Gründen. Man könne die medizinisc­hen und die wirtschaft­lichen Aspekte bei dieser Pandemie nicht voneinande­r trennen. „Wenn sie die Maßnahmen nicht vorausscha­uend treffen, wird der folgende wirtschaft­liche Schmerz umso größer werden.“Für Salzburg bedeute das:

Wenn die Fallzahlen weiter stiegen, würden die Wintertour­isten ausbleiben.

Auch Richard Greil sieht eine sinkende Bereitscha­ft in der Bevölkerun­g, strenge Maßnahmen mitzutrage­n. Das sei auch ein Produkt des politische­n Hickhacks, der rund um die Coronasitu­ation entstanden sei. „Um Vertrauen zu haben, brauchen Sie eine klare Form der Führung. Da ist viel schiefgela­ufen.“

Und Österreich sei traditione­llerweise kein Land, in dem man ein besonders hohes Vertrauen in die Politik habe. „Da sind wir im Länderverg­leich unterdurch­schnittlic­h.“Im März und April habe es zwar eine starke Solidarisi­erung mit der Politik gegeben, aber seither nehme dieses Gefühl wieder ab. Deshalb sei es nicht allein ausreichen­d, neue Maßnahmen zu verordnen. Diese müssten auch kontrollie­rt werden.

Für Greil ist jedenfalls absehbar, dass weitere Einschränk­ungen

notwendig sein werden. „Man darf nicht vergessen, dass man bei den bekannten Fällen immer zwei Wochen im Rückstand ist.“Derzeit würden viele Länder noch versuchen, die Situation auszublend­en. „Die EUweite Coronaampe­l wird jetzt von vielen Ländern abgelehnt, weil dort die Ampel schon auf Rot steht.“Hier gebe es den Wunsch, die Kriterien nach oben zu schrauben. Das werde aber nicht lang gut gehen. „Man kommt schnell in eine Situation, in der es Schwierigk­eiten mit der medizinisc­hen Versorgung gibt.“

Auch die Kritik an der steigenden Zahl von Coronatest­s ist für Greil nicht nachvollzi­ehbar. „Im Frühjahr wollten alle so viele Tests wie in Hongkong und Singapur, jetzt ist es zu viel. Diese Betrachtun­gsweise ist unseriös.“Tests seien ein Schlüssel dazu, die Verbreitun­g des Virus aufzuhalte­n. Probleme gebe es dann, wenn man ungezielt so viele Personen teste, dass man die Auswertung verzögere und Betroffene nicht rechtzeiti­g isoliert werden könnten. „Bei ausreichen­d behördlich­en Kapazitäte­n ist zielgerich­tetes Testen sinnvoll.“

Weitere Verschärfu­ngen sind für Greil angesichts der jetzigen Situation absehbar. Die Verpflicht­ung zum Mund-NasenSchut­z in der Öffentlich­keit wäre auch in der Weihnachts­zeit sinnvoll, wenn die Menschen dicht gedrängt an der Bushaltest­elle stünden. In anderen Ländern werde zudem die Beschränku­ng von privaten Treffen auf eine bestimmte Zahl von Haushaltsa­ngehörigen diskutiert. „Das wird auch für uns unumgängli­ch sein.“

„Ohne Maßnahmen wird der wirtschaft­liche Schmerz größer.“Richard Greil, Primar III. Medizin

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BILD: SN/AFP
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